München/Erdweg:"Kein geplantes Tötungsdelikt"

Im Erdweger Mordprozess sieht das Landgericht München II von einer besonderen Schwere der Schuld des 27-jährigen Angeklagten ab. Es verurteilt ihn zu einer lebenslangen Haftstrafe.

Von Benjamin Emonts, München/Erdweg

Im Erdweger Mordprozess hat das Landgericht München II entgegen dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft von einer besonderen Schwere der Schuld abgesehen. Es verurteilte den Angeklagten Arvid K. zu einer lebenslangen Haftstrafe. Er muss für 16 Jahre ins Gefängnis. Wäre das Gericht der Anklage gefolgt, hätte der 27-Jährige mindestens sieben weitere Jahre verbüßen müssen.

Das Gericht hörte an fünf Prozesstagen insgesamt 30 Zeugen und fünf Gutachter an. Nach Ansicht des Staatsanwalts hatte Arvid K., der den Mord bereits am ersten Prozesstag gestand, das Opfer gefoltert, um an die PIN der entwendeten EC-Karte zu gelangen. Die massive stumpfe Gewalt, das Strangulieren, der Messerschnitt quer über das Gesicht - all das seien Indizien für eine Folter. "Er tat mehr als für die Tötung des Opfers erforderlich war", sagte der Staatsanwalt und stellte Grausamkeit als zusätzliches Mordmerkmal fest. Dass Arvid K. sich mit seiner Bluttat besonders schwer schuldig gemacht hat, stand für die Staatsanwaltschaft außer Frage.

Der Vorsitzende Richter am Landgericht München II, Martin Rieder, wies den Antrag der Staatsanwaltschaft in seinem Urteil zurück: "Es lag keine Schuldschwere vor." Nach Ansicht des Gerichts ging der Mord folgendermaßen vonstatten: In der Verzweiflung über die Inhaftierung seiner schwangeren Verlobten, versuchte K. das nötige Geld aufzutreiben, um seine Geliebte aus dem Gefängnis zu holen. Als alle Versuche scheiterten, fasste er den Entschluss im Haus seines späteren Opfers Geld und Wertgegenstände zu erbeuten. Ohne die Absicht, die Frau töten zu wollen, klingelte Arvid K., betrat das Haus und trank einen Kaffee mit der Rentnerin. Die Frau ertappte ihn beim Diebstahlsversuch. Daraufhin schlug, würgte und erstach der Angeklagte das Opfer, das letztlich verblutete.

Im entscheidenden Gegensatz zur Anklage geht das Gericht davon aus, dass die EC-Karte und der Schmuck erst nach dem Tod der Rentnerin entwendet wurden. Damit war klar, dass der Angeklagte die Geheimnummer der EC-Karte nicht durch Folter erpresst hatte. Stattdessen ist das Gericht davon überzeugt, dass Arvid K. auf frischer Tat ertappt wurde. Dadurch gewann die Situation an Eigendynamik: "Es wurde wild drauflos gehauen und gestochen."

Für den Richter ist durch den Prozess belegt, dass Arvid K. die Rentnerin ursprünglich nicht habe töten wollen: "Der Angeklagte hat sein Leben lang versagt. Jetzt, wo er seine Freundin zu verlieren drohte, wollte er nicht schon wieder versagen. Deshalb musste die Frau sterben." Richter Rieder wies daraufhin, dass eine besondere Schuldschwere nur dann vorliegt, wenn eine Tat sich auffällig von anderen abgrenzt, also besonders verwerflich oder extrem grausam ist. Arvid K., das stellte der Richter nicht infrage, ging äußerst brutal vor bei seinem Mord. "Es war heftig, was hier abgelaufen ist."

Allerdings habe sich der Angeklagte - wie auch aus einem psychiatrischen Gutachten hervorging - in einer "Überforderungssituation befunden, in der ein gezieltes Vorgehen nicht mehr möglich ist". Der Mord sei ein "kurzfristiger, spontaner Entschluss" gewesen - und "kein geplantes Tötungsdelikt". Um das Mordmerkmal der Grausamkeit zu erfüllen, fehle der Tat zudem der sadistische Charakter. Das Ziel von Arvid K. sei schließlich nicht gewesen, sein Opfer langsam zu Tode zu quälen. "Dafür gibt es keine Anhaltspunkte."

Folglich verurteilte der Richter Arvid K. wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Eine womöglich eingeschränkte Schuldfähigkeit des 27-Jährigen schloss er aus. Ein Psychiater von der Ludwig-Maximilians-Universität München hatte beim Angeklagten eine dissoziale Persönlichkeitsstörung festgestellt; ein Rechtsmediziner eine polytoxe Drogensucht.

Für die Tat aber spielten diese Umstände nach Überzeugung des Gerichts keine Rolle. Das planvolle Verwischen von Beweisen unmittelbar nach der Tat lasse darauf schließen, dass Arvid K. zum Tatzeitpunkt "voll steuerungsfähig" war. Arvid K., der nur fünf Tage vor dem Mord zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden war, muss nun 16 Jahre ins Gefängnis. In seinem letzten Wort hatte er sich bei der Tochter der Ermordeten entschuldigt und darum gebeten, man möge ihm die Höchststrafe geben. Diese hat der 27-Jährige nun nicht bekommen. Das Urteil nahm er nahezu reglos zur Kenntnis.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: