Mitten in Karlsfeld:Bitte probesitzen

Die Stühle im Karlsfelder Bürgerhaus müssten längst ausgetauscht werden. Doch was, wenn die neuen Modelle noch unbequemer und hässlicher ausfallen als die jetzigen?

Kolumne von Christiane Bracht

Ach, wie schön, wenn man sich abends nach einem anstrengenden Arbeitstag in einen bequemen Sessel plumpsen lassen kann. Alle Viere von sich strecken - Ruhe. Ein Gläschen Wein vielleicht.... Na gut, es gibt auch Abende, da will man mehr: eine Verabredung mit Freunden, Theater, Konzert - oder was das Karlsfelder Bürgerhaussonst so zu bieten hat. Einziges Manko: die Stühle. Optisch sind sie ein Graus. Zahlreiche Flecken zieren die Polster. Die CSU ist neulich vor Scham fast im Boden versunken, als die Politprominenz aus Berlin kam. Am besten man schaut gar nicht so genau hin, dreht sich schnell um und setzt sich beherzt hin. Doch Vorsicht!

Unbequem sind sie nicht direkt, aber klapprig. "Ich war nicht so sicher, ob ich am Ende des Abends noch droben sitzen würde", sagte Gemeinderat Bernd Wanka (CSU) erst kürzlich nach einem vergnüglichen Galaabend. 40 Jahre sind eben auch für Stühle eine lange Zeit.

Die Notwendigkeit, die Stühle auszuwechseln, hat man längst erkannt. Fünf Mal war bereits ein Posten dafür im Haushalt eingeplant, doch irgendwie fehlte am Ende jedes Mal Geld oder die Kapazität im Rathaus, sich darum zu kümmern. Neues Jahr, neuer Anlauf: Geschäftsführer Francesco Cataldo will die Sache heuer in die Hand nehmen. Doch "so einfach ist das nicht", klagte er im jüngsten Hauptausschuss. "Ein Stuhl kostet inzwischen 550 Euro." Mal 700 macht nach Adam Riese 385 000 Euro - um Gottes Willen! "Das ist nicht angemessen in der derzeitigen Haushaltslage", schritt Vizebürgermeister Stefan Handl sogleich ein. "Zu viel", befand auch Bürgermeister Stefan Kolbe. "Wir begrenzen das auf 250 000 Euro."

Doch der Preis ist nicht das einzige Problem: "Wir können nicht reinschreiben, wir wollen diesen oder jenen Stuhl", erklärte Cataldo den ungläubig dreinschauenden Kommunalpolitikern. Die Verwaltung müsse vorher einen Kriterienkatalog entwickeln. Sobald die Angebote eingegangen sind, müsse streng nach diesem ausgewählt werden. Der günstigste ist dann der, der bestellt werden kann, egal ob er hübsch genug oder bequem ist. Andernfalls wäre der Wettbewerb verzerrt. "Ich wusste gar nicht, dass es Rassismus unter Stühlen gibt", entrüstete sich Holger Linde (Bündnis). "Das kann nicht sein", echauffierte sich Beate Full (SPD). "Wir müssen doch Probesitzen."

Die Angst griff schnell um sich. Jeder fragte sich insgeheim: Was ist, wenn die Stühle zwar optisch passabel ausschauen, aber so unbequem sind, dass man schon nach einer Viertelstunde heftige Rückenschmerzen bekommt und am liebsten die Flucht ergreifen möchte? Wer hört dann noch die süße Musik? Wer konzentriert sich noch auf die Dramatik im Theater oder den Wortwitz im Kabarett? Überhaupt: Wer will dann noch ins Bürgerhaus kommen nach einem anstrengenden Arbeitstag?

Vielleicht sind die alten Stühle ja doch nicht so schlecht. Vielleicht halten sie ja noch ein Jahr oder zwei, oder vielleicht auch zehn? Die Flecken sind doch eigentlich gar nicht so schlimm und das bisschen wackeln ist verschmerzbar, oder?

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