Mitten in Karlsfeld:Bayern wie es wirklich ist

Selbstbewusst gibt die Gemeinde ein Postkarten-Set heraus. Die Ortsansichten zeigen Wohnhäuser mit Satellitenschüsseln und bunte Wohnklötze der Neuen Mitte. Das ist nicht wirklich schön, aber wenigstens ehrlich

Von Gregor Schiegl

Bevor es Instagram, Facebook und Twitter gab, behalfen sich die Leute, in dem sie Ansichtskarten aus dem Urlaub verschickten, um Nein bei den Daheimgebliebenen zu schüren. Die Fremdenverkehrsbüros lieferten die notwendigen Hochglanzmotive, wobei die Bayern es im Marketing ihrer Landschaften zu einer unübertroffenen Meisterschaft gebracht haben. Urige Almen in Hochglanzdruck, Bergeshöhen, Wiesen, grüner als der Rollrasen aus dem Baumarkt, und Kühe so glücklich, als würden sie Gras nicht nur fressen, sondern auch rauchen. Hier vereinigen sich Kitsch und Klischee auf einzigartige Weise, und ihnen wurde in der Duden-Redaktion ein Kind geboren, das den Namen "Postkartenidylle" bekam.

Nun leben wir zwar in modernen Zeiten, aber eben auch in Zeiten, in der eine gewisse Sehnsucht nach dem Unzeitgemäßen wieder aufflammt: Marmelade kocht man heute wieder selber, das Fahrrad muss aussehen wie das von Oma Lotte. Auch Ansichtskarten sind wieder schwer im Kommen, jedenfalls scheinen die Trend-Scouts im Karlsfelder Rathaus dieser Ansicht anzuhängen, andernfalls hätten sie nicht ein neues Postkarten-Set herausgegeben. Wer den üblichen Manufaktum-Katalogkitsch mit weißblauen Brauchtumsstangerl erwartet, wird überrascht. Zwei Karten zeigen Naturmotive - einmal die Würmschleife, einmal den Waldschwaigsee. Die anderen zeigen Ortsansichten: Wohnhäuser mit Satellitenschüsseln. Oder die bunten Wohnklötze der Neuen Mitte. Das ist nicht wirklich schön, aber wenigstens ist es ehrlich. The real Bavaria.

Selbstbewusst hat die Gemeinde auch zwei Motive gegeneinanderschneiden lassen: das alte, großteils gar nicht mehr existierende Karlsfeld mit dem Freis-Anwesen, dem Alten Wirt und der Ludl-Kapelle. Und das moderne Karlsfeld: Vital-Center, Ärztehaus, saniertes Rathaus, S-Bahnhof. Alle vier Motive sind zum Preis von drei Euro je Satz an der Gemeindekasse erhältlich. Neid werden die Karten bei den Empfängern vielleicht nicht erzeugen, aber das ist auch gar nicht beabsichtigt. "Schick doch mal wieder liebe Grüße an nette Menschen", flötet es aus dem Rathaus. Es ist ja auch für eine gute Sache: Ein Euro je Satz kommt der Bürgerstiftung zugute.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: