Mitten in Europa:Alles Kokolores

Die EU beschert der Stadt Dachau einen Albtraum im Hinblick auf die Vergaberichtlinienordnung. Als Realpolitiker weiß OB Hartmann, was davon zu halten ist

Von Viktoria Großmann

Politiker können nicht jedem Trend folgen. Vor allem nicht mehr dann, wenn das Gewicht ihres Amtes sie in den Rang eines Realpolitikers niedergedrückt hat. Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann ist so einer. Im Gegensatz zu seinem Genossen Martin Schulz. Der will noch was werden, ist also Idealpolitiker. Ein früher von ihm vertretenes Ideal heißt EU. Sozialdemokratie und EU sind ein schönes Paar. Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist bei beiden etwa gleich groß. Gleich groß ist derzeit auch ihre Beliebtheit. Der eine kriegt 100 Prozent, für die andere gehen überall in Europa Menschen auf die Straße. Die Likes häufen sich. Auf ihrem Weg vom Friedensprojekt zum Bürokratiemonster hatten einige die Freude an der EU verloren. Doch jetzt ist man bereit, Quatschnormen in Kauf zu nehmen, wenn man sich dadurch verbindlich auf ein paar nicht unwesentliche Werte einigen kann. Demokratie, Grundrechte, solche Sachen.

Idealerweise. Realerweise beschert die EU Dachau derzeit einen Vergaberichtlinienverordnungsalbtraum, der die Stadt zwingt, sich vor der Ausschreibung für den mindestens zehn Millionen Euro schweren Auftrag für die Sanierung der Grundschule an der Anton-Günther-Straße erst mal eine Agentur zu nehmen, die dabei hilft, nach Recht und Gesetz und möglichst wirtschaftlich auszuschreiben. Die Stadträte haben damit so ihre Probleme. Sie befürchten zum Beispiel, dass kleine und junge Architekturbüros nicht mehr zum Zuge kommen. CSU-Stadtrat August Haas ist sich gar sicher, dass es einer wie Günter Behnisch, Erbauer des Olympiastadions und des Effner-Gymnasiums, nach EU-Vergaberichtlinien nie zu etwas gebracht hätte. Deutlicher drückte Florian Hartmann sich aus: "Hier zeigt sich, dass das mit der EU teilweise Kokolores ist". Bemerkenswert ist nicht nur die feine Wortwahl, die einen fast untergegangenen Begriff vor dem Verschwinden rettet. Bemerkenswert ist der gänzlich gegen den Zeitgeist gerichtete Gehalt dieser Worte. Sollte Martin Schulz in diesem Herbst in die Verlegenheit kommen, vom Idealpolitiker wieder zum Realpolitiker werden zu müssen, könnte er zuvor im Dachauer Rathaus vorbei schauen. Da kann er noch was lernen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: