Süddeutsche Zeitung

Mitten in Erdweg:Das Potenzial der Ehe

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Ein Seminar der Katholischen Landvolkshochschule (KLVHS) Petersberg will Frauen, die auf einem Hof einheiraten, helfen. Fragt sich nur: Warum brauchen nur sie Hilfe und was hat das alles mit Liebe zu tun?

Glosse von Jacqueline Lang

Ob man nun an das Konstrukt der Ehe glaubt oder nicht, sei mal dahin gestellt. Wenn beide Seiten den Bund der Ehe schließen wollen, nur zu. Aber, und das mag eine naive Annahme sein: Wenn man schon unbedingt heiraten muss, dann doch bitteschön aus Liebe, allumfassender, unbändiger Liebe.

Dass das längst nicht immer der Fall sein muss und das offenbar auch viele andere Gründe dafür gibt, den Bund der Ehe zu schließen, versteht, wer die Beschreibung für ein Seminar liest, das die Katholische Landvolkshochschule (KLVHS) Petersberg am Mittwoch in zwei Wochen anbietet. Der Titel klingt eigentlich noch recht vielversprechend: "Mach Dir doch selbst den Hof". Man könnte fast meinen, hier werde eine Frau darin bestärkt, gar keinen Mann für ihr Glück zu brauchen. Aber nein: Es handelt sich um ein Seminar für "einheiratende Frauen". So weit, so gut.

Es solle, so heißt es weiter, darum gehen, welche "Chancen" es für alle Beteiligten biete, wenn die Frau auf einem Hof einheirate. "Mit der Agraringenieurin Vanessa Hoffmann von der bäuerlichen Familienberatung gestalten die Teilnehmerinnen Bausteine für die eigene Rolle im Familienbetrieb. Sie nähern sich dazu den eigenen Stärken und den Bedürfnissen der Familie. Sie setzen sich mit den besonderen Zusammenhängen in landwirtschaftlichen Familienbetrieben auseinander und erarbeiten, wie ihr persönliches Potenzial wachsen und die Familie bereichern kann." Das Wort Liebe, man sucht es auch zwischen den Zeilen vergeblich.

Bleibt die Frage: Hat man womöglich selbst ein veraltetes Bild von Ehe im Kopf, wenn man dabei die rosarote Brille auf- und niemals absetzen will? Ist es am Ende tatsächlich zeitgemäßer und emanzipierter, wenn man sich ernsthafte Gedanken darüber macht, wie dieser Bund von Dauer sein kann, weil man sich über eigene Stärken und Potenziale gleich von Anfang an im Klaren ist? Mag sein. Nur warum gibt es solch ein Seminar dann nur für Frauen, nicht für Männer? Warum wird automatisch davon ausgegangen, dass der Mann der mit dem Hof ist? Und warum wird eigentlich nur von zwei möglichen Geschlechtern ausgegangen beziehungsweise von einer heteronormativen Zweierbeziehung?

Wie viele Frauen am Ende das achtstündige KLVHS-Seminar besuchen werden, man weiß es nicht und es steht einem nicht zu, darüber zu urteilen. Für einen selbst aber steht einmal mehr fest: Einheiraten auf einen Hof unter solchen Voraussetzungen? Gott bewahre!

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Quelle:
SZ vom 09.10.2021
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