Süddeutsche Zeitung

Mitten in der Region:Der Unverfrorene

Jetzt ist wieder die Zeit für dicke Pullis und Anoraks, doch immer wieder sieht man vereinzelt Zeitgenossen in kurzen Hosen. Was ist mit denen los?

Kolumne von Franziska Bohn

Jeder hat diese eine Person in seinem Umfeld, die auch bei winterlichen Temperaturen in kurzer Hose und Shirt das Haus verlässt. Meistens begegnet man diesen Personen unvorbereitet: Zuletzt vor einem Einkaufszentrum. Da steht er da, der unerschütterliche Kurzhösler, mit einer Zigarette in der Hand - bei Temperaturen knapp über null Grad.

Das macht natürlich erst einmal Eindruck. Es zeugt von einer gewissen Unverfrorenheit, diesen Temperaturen derart zu trotzen. Die Leute, die neben ihm in Richtung Bahnhof eilen, sind alle dick eingepackt: In Winterjacken, Schals, mit Handschuhen und Mützen. Dieses Bild ist bei den derzeitigen Temperaturen mittlerweile wieder zur Gewohnheit geworden.

Wer nicht krank werden will, packt sich eben warm ein, am besten Schicht für Schicht im Zwiebel-Look. Nur einer beugt sich nicht dem einbrechenden Winter. Unbeugsam steht er da und zieht wieder und wieder an seiner Zigarette. Wie er sich wohl fühlen mag? Stark und tapfer? Vielleicht sogar überlegen? Immerhin muss er keine zehn Minuten Lebenszeit verschwenden, um sich in oder aus dem Zwiebel-Look zu schälen. Darum ist er ohne Zweifel zu beneiden. An diesem grauen Morgen sieht er allerdings fast ein bisschen einsam aus. Auf andere unerschütterliche Kurzhösler wird er heute wohl kaum treffen.

Warum um Himmels Willen macht er das? Hat er kein Kälteempfinden? Davon hört man ja immer wieder mal, kommt aber doch eher selten vor. Immunabwehr vielleicht? Abhärtungstaktik als Ergänzung zum Wechselduschen am Morgen? Dagegen spricht allerdings die Zigarette in seinem Mundwinkel. Rauchen zeugt nicht gerade von einem gesundheitsbewussten Lebensstil. Ein verirrter Reisender, der aus seinem Urlaub in der Karibik zurückgekommen ist? Eher unwahrscheinlich. Bleibt nur noch eine Möglichkeit übrig: Ein Faschingsscherz, pünktlich zum 11. 11., fast pünktlich um 11 Uhr 11. Beim genaueren Hinsehen ist zu erkennen: Der Mann in der kurzen Hose zittert am ganzen Leib. Und so wird seine Motivation wohl für immer ein Rätsel bleiben.

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Quelle:
SZ vom 12.11.2019
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