Süddeutsche Zeitung

Mitten in der Amper:Im Schlauchboot flussabwärts

Das Konzept Flussbad erlebt seit einigen Jahren ein erstaunliches Revival. Auch auf der Amper in Dachau tummeln sich an heißen Tagen Badefreunde. Und das Meer ist näher, als man denken würde

Kolumne von Gregor Schiegl

Ach, das Meer! Blaues Wasser bis zum Horizont und feiner weißer Sand - ein Sehnsuchtsort. Jacques Brel widmete ihm ein Lied: "La mer". Unvorstellbar, dass er einen ähnlich gefühligen Chanson über einen Baggersee verfasst hätte oder gar über einen Fluss. So ein Fluss steht nicht für die große Freiheit, eher für Überschwemmungen, giftige Abwässer oder Mord und Totschlag, Stichwort Rubikon, Oder, Neiße oder Rhein. Dass sich der ehemalige Umweltminister Klaus Töpfer im Mai 1988 im Ganzkörperbadeanzug in die Fluten des Rheins stürzte, war auch keine Gaudi; der CDU-Politiker hatte eine Wette gegen einen SPD-Kollegen verloren und nun galt frei nach Äsop: Hic Rhenus, hic salta! Doch es ist Zeit, den Fluss zu rehabilitieren: Wer den Dachauer Künstlerweg entlangflaniert, kommt am Repro eines Gemäldes von August Kallert vorbei, das vor gut 100 Jahren entstanden ist und Badende in der Amper zeigt.

Damals gab es regelrechte Flussbäder, nicht nur in Dachau, sondern auch an der Würm in Karlsfeld, das sich zeitweise sogar mondän "Bad Karlsfeld" betitelte. Diese Zeiten sind vorbei, unwiederbringlich, doch das Konzept Flussbad erlebt seit einigen Jahren ein erstaunliches Revival. Allein im Dachauer Amperabschnitt zwischen der Insel am Naturfreundehaus im Südwesten und dem Ausflugslokal "Bodega", wo es neben einem Mini-Strand auch eine nicht-TÜV-geprüfte Schaukel gibt, die an einem exponierten Ast über dem Wasser baumelt, tummeln sich an heißen Tagen badelustige Familien und Jugendliche. Weil die Uferbereiche selten mehr als Sandkastengröße haben, sind Massenansammlungen nicht möglich und Partymachen daher seuchenschutzrechtlich unbedenklich. Die große Freiheit liegt, wer hätte das gedacht, daheim vor der Haustür.

Durch die sintflutartigen Regenfälle der vergangenen Woche ist der Beach-Bereich an der Amper nun erst mal in den Fluten versunken, was für einen deutlichen Rückgang des Badebetriebs gesorgt hat. Dafür treiben nun ganze Kohorten von voll besetzten Schlauchbooten stromabwärts. Wer wissen will, wohin das alles noch führen soll, muss nur einen Blick auf eine Landkarte werfen: Die Amper mündet in die Isar, die Isar in die Donau und von dort geht es weiter ins Schwarze Meer. La mer! Und alles was man tun muss, ist sich treiben lassen...

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Quelle:
SZ vom 12.08.2020
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