Süddeutsche Zeitung

Mitten in Dachau:Sparen, aber mit Liebe

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Romantische Gefühle sind nicht immer der Grund, um zu heiraten

Von Manuel Kronenberg

Hier fühlt er sich pudelwohl, der glückliche Besitzer eines Treueherzsammelheftchens: in seinem Supermarkt. Niemals würde er einen Seitensprung in einen fremden Laden wagen. Seinem Supermarkt hält er die Treue. Dabei handelt es sich keineswegs um einseitige Liebe. Der Laden seiner Träume weiß um sein Glück, um die Hingabe seines Kunden. Und er erwidert die Liebe bedingungslos: Für jeden Fünfer, den sein Liebling da lässt, bekommt er von Schatzi Supermarkt ein Klebeherzchen geschenkt. Nichts erwärmt dem Kunden das Herz so sehr wie der Moment, wenn er an der Kasse steht - das süße Piepen in den Ohren, das Lächeln der Kassiererin seligen Auges erwidernd - und seine angesparten Treueherzen gegen eine glänzende Pfanne einlöst, für die er sonst teuer Geld bezahlt hätte. Und wieder zwölf Euro gespart. Hach! So schön kann Treue sein! Und da soll noch einer sagen, Treue hätte was mit Liebe zu tun. Aufs Sparen kommt's an! Das wussten schon Oma und Opa, die 1955 den Bund der Ehe eingingen. Damals war Heiraten besonders lukrativ. Denn 1955 gab es eine reizvolle Gesetzgebung, die Ehepaaren Steuerermäßigung rückwirkend für das ganze Jahr versprach. Aber nur, wenn sie sich bis Ende August trauen ließen. Da spitzte der homo oeconomicus die Ohren. Ermäßigung? Für das ganze Jahr? Das lässt man sich doch nicht entgehen. Ist die große Liebe noch nicht gefunden, krallte er sich eben die nächstbeste, fleißige Spar-Liesl und sie den nächstbesten, tüchtigen Spar-Sepp.

Es gab einen regelrechten Ansturm damals auf die Standesämter der Bundesrepublik. Oft musste es besonders schnell gehen, damit man ja nicht den Stichtag verpasste. So erzählt es ein Ehepaar aus Dachau, das sich 1955 vermählt hat. Vielleicht hätte man sich ohne diesen enormen Steuervorteilen noch etwas Zeit gelassen oder sich gar dagegen entschieden, gemeinsam Steuern zu sparen, sagen sie. Es soll sich ja auch lohnen. Die gängige Frage beim Heiratsantrag lautete seinerzeit wohl nicht: Willst du mich heiraten? Sondern: Willst du mit mir richtig Steuern sparen - bis dass der Tod uns scheide?

Ist das nun unromantisch? Keineswegs. Sparen schweißt zusammen. Das sieht man dieser Tage in Dachau. Ein Paar nach dem anderen feiert Diamantene Hochzeit. Ob es das Sparen war, oder reine Herzensliebe, die diese Ehen so lange zusammengehalten hat?

Egal. Es hat sich offenbar gelohnt. So oder so.

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Quelle:
SZ vom 21.08.2015
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