Mitten in Dachau:Schnipp, schnipp, hurra!

Die Friseure haben wieder auf. Aber beim Versuch, einen Termin zu ergattern, rauft man sich die viel zu langen Zotteln

Glosse von Gregor Schiegl

Wo es sprießt, da ist auch Leben. Das gilt für den Rasen ebenso wie fürs Haar. Bis in die Spitzen hinein ist es aufgeladen von Lebensenergie, so dachte man sich das mal. In der Antike gab es den Brauch des Haaropfers, unter anderem bei der Aufnahme in die griechische Bürgerschaft, bei der Hochzeit oder bei Begräbnissen. Im Alten Testament verlor der Held Simson seine Superpower, als Delila zum Langhaarrasierer griff, und auch der Sohn des legendären David, Absalom, büßte seine Unverwundbarkeit durch ein haariges Malheur ein, als er mit seiner Lockenpracht in irgendeinem Geäst hängen blieb. Umgekehrt powerten sich Christian Lindner (FDP) und Jürgen Klopp (FC Liverpool) durch Haarimplantate auf.

Wie bei allen Dingen im Leben liegt das Gute im Maß und in der Mitte. Nach Monaten des Lockdown ist die deutsche Gesellschaft phänotypisch in die Sechziger zurückgerutscht, auf allen Schädeln kräuselt und lockt es sich, sogar in der CSU sehen manche schon aus wie die Grünen in den Achtzigern. Das Schlimme ist, dass man selber gar nicht spotten darf. Würde der Autor dieser Zeilen einer Personenkontrolle unterzogen, könnte er Schwierigkeiten haben, glaubhaft zu machen, er sei dieser einigermaßen gepflegt aussehende Brillenmensch auf dem Ausweis und nicht der Zausel, dem die abstehenden Haare einen bedenklichen Zug ins Wahnsinnige geben. Aber das kommt davon, wenn man sich kurz vor Weihnachten denkt: Nee, das mach' ich nach Weihnachten. - War 'ne blöde Idee.

Seit Montag haben die Friseure wieder offen. Leider kriegt man einen Termin, wenn überhaupt, nur telefonisch. Das Telefon ist aber die ganze Zeit besetzt. Am Abend geht keiner mehr ran. Am Dienstag ist es abgeschaltet. Man rauft sich die Haare. Viele Haare. Es hilft nichts. Man wünscht sich eine Ständige Haarschneidekommission, die besondere Härtefälle priorisiert. Die gesunden unter 80-Jährigen mit exaltiertem Haarwuchs müssen absoluten Vorrang haben. Auf die armen Coiffeure kommt jetzt, Vorsicht Friseurhumor, eine echte Hairkulesaufgabe zu. Aber es hilft nichts, hier geht es um die Verteidigung der Zivilisation.

Schließlich bekommt man ihn doch noch, seinen Termin, am 24. März in einem kleinen Dachauer Salon. Schnipp, schnipp, hurra! Die Welt wird staunen, was sich unter diesen Haaren verbirgt.

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