Mitten in Dachau:Schleichwerbung im Wahlkampf

Die Kandidaten für Brüssel kennt ja keiner. Deswegen garnieren die Lokalhelden die Plakate der EU-Abgeordneten. Das ist praktisch. Denn so können Landrat und OB-Kandidaten schon mal für die Kommunalwahl in einem Jahr werben

Kolumne von Walter Gierlich

So wichtig wie dieses Mal war noch nie eine Europawahl. Das können wir Tag für Tag von Politikern (fast) aller Richtungen hören. Das mag auch der Grund sein, warum in Deutschland gleich 41 Parteien und politische Vereinigungen zum Marsch auf das Parlament in Straßburg und Brüssel antreten. Darunter sind so manche, die eher skurril, bisweilen sogar bizarr anmuten, wenn man abends im Fernsehen ihr Wahlwerbespots sieht. Mal tragen sie die Farbe violett, mal grau im Namen, gemeinsam ist ihnen, dass ihr Programm ein buntes Sammelsurium an Themen darstellt. Das gilt auch für eine Partei, die sich schlicht "Liebe" nennt, während gleich vier den Tierschutz zum obersten Ziel erhoben haben, wie bereits aus ihrer Bezeichnung abzulesen ist. Ihren Namen entnehmen lässt sich auch, wofür die Parteien Volksabstimmung, Gesundheitsforschung oder Bündnis Grundeinkommen stehen.

Außer auf den Bildschirmen lassen sich all diese Gruppierungen und ihre Kandidaten leider nicht blicken, weder in natura noch auf Wahlplakaten. Auf den Plakaten hingegen, die in Dachau an den städtischen Tafeln oder an Bäumen und Laternenmasten hängen, finden wir die alten Bekannten. Vertraute Parteien natürlich nur, denn die Bewerber, die zur Wahl für die europäische Volksvertretung antreten, sind Umfragen zufolge allenfalls mäßig bekannt. Selbst den konservativen Spitzenkandidaten von der CSU, der das Amt des EU-Kommissionspräsidenten anstrebt ... na, wie heißt er denn gleich? ... ach ja, Weber, also selbst den kennt nur gut ein Viertel der deutschen Wahlberechtigten.

Wie vertraut sind da doch die Gesichter, die in der Großen Kreisstadt von Wahlplakaten herunterlächeln. Da freut sich der politisch unbedarfte Wähler, wenn neben der in Dachau eher unbekannten CSU-Europaabgeordneten Angelika Niebler aus Vaterstetten im Landkreis Ebersberg stattliche Männer zu sehen sind, die man am Ort eher kennt: ihre Parteifreunde Stefan Löwl und Peter Strauch. Dass die beiden mit der Europawahl nichts zu tun haben, jedenfalls auf keiner Kandidatenliste stehen, stört nicht weiter. Aber so können sie schon mal auf sich aufmerksam machen, schließlich wollen sie im nächsten Jahr als Landrat wieder beziehungsweise als Oberbürgermeister neu gewählt werden. Und für diesen Werbetrick darf Europa gerne herhalten.

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