Süddeutsche Zeitung

Mitten in Dachau:Papis Himmelfahrt auf Breitreifen

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Ja, es gibt das oft bemühte Klischee vom Phallus-Symbol. Wenn aber am Vatertag die Reifen quietschen und der Auspuff raucht, wünscht man sich den guten alten Bollerwagen zurück

Kolumne von Andreas Förster

Stell dir vor, es ist Vatertag, die Sonne scheint, und keiner geht hin und zieht mit dem Leiterwagerl singend und später eher grölend durch die Straßen. Für manche war das vielleicht immer schon eine Wunschvorstellung. Durch Corona wurde sie plötzlich wahr. Statt Männerhorden im Biergarten: Väter auf dem Fahrrad, gemeinsam mit der Familie, vorzugsweise auch Oma und Opa, die man ja lange nicht sehen durfte. Im Scharen fuhren sie gemächlich durch die Parks und die Amper oder Würm entlang, die Kinder mit Stützrädern oder in moderaten Schlangenlinien, im Schlepptau der Hund. Als einfacher Spaziergänger musste man schon höllisch aufpassen, in keinen Radl-Pulk hineinzustolpern. Viele Väter haben offenbar den Wert des gemeinsamen Ausflugs auf zwei Rädern wiederentdeckt und gleich auch genüsslich ausgelebt. Für Fußgänger keine leichte Zeit, wenn sie hintereinander statt nebeneinander laufen müssen, um die Radlergasse freizuhalten.

Auf der anderen Seite gab es da auch nicht unerheblich viele, denen am Vatertag zwei Räder ohne Motor nicht genügten. Einige tauschten die vier Räder des Bollerwagens gleich gegen einen ausgewachsenen Sportboliden, der sonst wohl eher sein Dasein in der Garage fristet. Wichtig war offenbar nur: viele PS, zwei bis vier große Auspuffrohre sowie fette Reifen. Jeder Beschleunigungsvorgang wurde begleitet von einem durchdringenden Röhren, der jeden Hirsch auf der Brunft vor Neid hätte erblassen lassen. Ein Blick ins Innere der häufig mit verdunkelten Scheiben ausgestatteten Porsche, Mercedes- und BMW-Coupés oder Ford Mustang gelang eigentlich nur, wenn es sich dabei um ein Cabrio handelte, und ein ums andere Mal saß da einer mit Sonnenbrille, Käppi und Drei-Tage-Bart.

Ja, es gibt dieses oft bemühte Klischee vom Phallus-Symbol. Am Vatertag sah man es wieder einmal bestätigt. Im Übrigen auch bei den Bikern, die nicht weniger zahlreich unterwegs waren und mit Vorliebe gerade dann Gas gaben, wenn viele Ausflügler die Gehsteige oder Terrassen der Straßencafés bevölkerten. Da wünschte man sich plötzlich sogar den normalen Vatertag mit dem guten alten Leiterwagerl zurück.

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Quelle:
SZ vom 23.05.2020
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