Süddeutsche Zeitung

Mitten in Dachau:Museumsreife Autoren

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Ein Besuch in einer Ausstellung kann ungeahnte Überraschungen bieten

Von Walter Gierlich

Positiv besetzt ist der Begriff nicht: Eine in die Jahre gekommene S-Bahn, ein antiquierter Fotoapparat für Negativfilme oder ein Handy, mit dem man nur telefonieren kann, nennt man museumsreif. Mit anderen Worten bedeutet das, die Dinge sind aus der Zeit gefallen und nicht mehr wirklich zu gebrauchen. Allenfalls ein Maler oder Bildhauer dürfte freudige Emotionen mit dem Begriff museumsreif verbinden, wenn eines seiner Werke von einer Kunsthalle angekauft und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.

Jetzt in dieser absolut stillen Zeit zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag, wenn es nicht einmal an den S-Bahnhöfen Parkplatzprobleme gibt, kommen viele Menschen endlich einmal dazu, die Museen in der näheren Umgebung zu besuchen. So fand auch der Autor dieser Zeilen in den vergangenen Tagen ausreichend Muße, im Bezirksmuseum die Ausstellung über die Geschichte der Protestanten im Dachauer Land anzuschauen, die anlässlich des 500. Reformationsjubiläums gezeigt wird.

Man findet jahrhundertealte Bibeln mit Ledereinband, Holzschnitte und Drucke aus der Zeit des Reformators Martin Luther sowie historische Fotos aus Dachau und dem Landkreis. Alles echt museumsreif. Dort hängt auch ein Klassenfoto der jungen Protestanten aus dem ersten Jahr der Karlsfelder Gemeinschaftsschule 1962/63. Für die jüngeren Leser: Bis 1968 gab es in Bayern sogenannte Bekenntnisschulen, in denen die Kinder je nach Konfession katholisch oder evangelisch unterrichtet wurden. In Oberbayern waren die Protestanten die Minderheit, durften daher nicht die Bekenntnisschule besuchen, sondern mussten in die Gemeinschaftsschule.

In Karlsfeld gab es damals für die Jüngeren in dieser Einrichtung eine Klasse, in der Mädchen und Buben der Jahrgangsstufen eins bis vier (für die Älteren fünf bis acht) gemeinsam unterrichtet wurden. Doch, oh Schreck! Mittendrin auf dem alten Lichtbild dieser Gruppe Sechs- bis Zehnjähriger ist die kleine Schwester des Verfassers zu sehen. Wenn diese schon museumsreif ist, was ist dann erst der ältere Bruder? Methusalem?

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Quelle:
SZ vom 04.01.2018
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