Mitten in Dachau:Lücke im Kalender

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Jeder Tag ist einem Anlass gewidmet. Es gibt den Tag des deutschen Butterbrotes, den Welttierschutztag, den Tag der Seifenblasen. Nur an diesem Mittwoch ist kein Tag für irgendetwas

Von Walter Gierlich

Heute ist kein Tag. Also Mittwoch ist heute natürlich schon, aber kein Tag für irgendetwas. In den vergangenen Wochen wurde ständig an Wichtiges und Weltbewegendes gemahnt oder auch einfach an so manches gedacht. Da gab es beispielsweise den Tag des deutschen Butterbrotes - kein Witz, der wird alljährlich am letzten Freitag im September zelebriert -, den Welttag des Siedlungswesens sowie den des Lächelns, den Schutzengeltag und den internationalen Tag der Gewaltlosig-keit.

Den Tag der Deutschen Einheit hat je-der hierzulande auf dem Schirm, ist er doch arbeitsfrei. Kaum ist er vorbei, beginnt der Welttierschutztag, auf den unmittelbar zugleich der Weltlehrertag, der Tag der Epilepsie sowie auch derjenige der Seifenblasen folgen. Auch der gewaltfreien Kommunikation wird Jahr für Jahr gedacht (am 6. Oktober), wenn auch nur im deutschsprachigen Raum.

Gestern nun war Weltmenopausetag, und schon morgen gilt es, sich an den auf einen Termin fallenden Welttagen entweder mit Osteoporose oder dem magischen Zahlenwerk der Statistik zu befassen. Nur heute, am 19. Oktober, klafft eine schmerzliche Lücke im Kalender, die so manche Journalisten in eine Sinnkrise treiben könnte. Denn womit sollen sie Zeitungsspalten oder morgendliche Sendeminuten in Rundfunk und Fernsehen füllen, wenn aus Anlass der jeweiligen Tage keine Studien mit neuen Erkenntnissen vorgestellt werden können, zum Beispiel zu Problemen des Sprechens (am Welttag des Stotterns, 22. Oktober), oder Küchenexperten am Weltnudeltag (25. Oktober) nicht neue Rezepte präsentieren dürfen. Dass 202 vor Christus der römische Feldherr Scipio Africanus an einem 19. Oktober den Karthager Hannibal bei Zama besiegte und somit den Zweiten Punischen Krieg entschied, wird heutige Medienkonsumenten nur sehr bedingt interessieren, zumal Interviews mit Beteiligten oder Augenzeugen schwer vorstellbar sind.

Wenn schon keiner Institution und keinem Verband für diesen Mittwoch etwas eingefallen ist, könnten wir ja einfach die Macht der Lokalpresse demonstrieren und für die Zukunft selbst etwas am 19. Oktober würdigen. Wir könnten den Tag der Mooswiesen im Landkreis ausrufen. An Politikern, die dann werbewirksam vor Kameraobjektiven die Sense schwingen, dürfte es ganz sicher nicht mangeln.

© SZ vom 19.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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