Mitten in Dachau:Knirschendes Kugellager

Wer sich nach der Winterpause erstmals wieder auf den Sattel schwingt, kann schon mal ordentlich ins Schwitzen kommen

Von Gregor Schiegl

Warum man das Fahrrad Drahtesel nennt, zeigt sich, wenn man sich nach der Winterpause zum ersten Mal wieder auf den Sattel schwingt. Störrisch ist das Ding, man muss es treten, dass es sich bewegt, und das mit seinen untrainierten käseweißen Beinen. Das ist nicht schön, und man ist froh, wenn man ohne Zeugen durch die Landschaft schlingert, mit rostig rasselnden Ketten, die schön sind bei Hui Buh dem Schlossgespenst, aber nicht bei einem Fortbewegungsmittel. Es will sich ja auch kaum was rühren. Der Gang schaltet nicht so recht, die Kugellager knirschen, das Schutzblech klappert und die Luft zwischen Felge und Mantel ist auch arg dünn, da darf man den Drahtesel nicht zu sehr treiben, sonst geht einem selbst die Luft aus.

Nach der Eingewöhnung läuft es besser, die Waden werden warm, der Rost ist abgeschmirgelt, es rollt, und doch kommt es auf der Offroad-Strecke - so ist man in der Leistungsgesellschaft wohl schon konditioniert - auch unvermeidlich zum Vergleich: Wer ist schneller? Wer hat die Nase vorn? "Diß Leben kömmt mir vor alß eine renne bahn", schrieb der sprachgewaltige Andreas Gryphius, obwohl man zu seiner Zeit nur die Kanonen rollte. Die Schmach ist leicht zu tragen, wenn ein Epo-gestählter Kraftspargel mit aerodynamischem Sturzfliegerhelm auf leise zischenden Rennradreifen vorüberzieht. Ärger ist es schon, wenn man ein Surren hinter sich hört, und sich gewisse Herrschaften auf dem E-Bike nähern, die einen irgendwie an die Titelgestalten vom letzten Hefttitel der Apotheken-Umschau zum Thema Blasenschwäche erinnern. Dann heißt es, in die Pedale treten, was das Zeug hält, und wenn man dabei die Zunge in die Speichen bekommt.

Zu guter Letzt kommt auch noch Gegenwind dazu. Man stemmt sich in die Pedale, das Ortsschild des heimatlichen Dachau leuchtet schon in freundlichem Gelb am Horizont, aber, ach, so weit weg, und man denkt sich, dass man sich jetzt vielleicht doch mal ein neues Fahrrad kaufen sollte nach 15 Jahren Eselstreue. Und man denkt sich's lang, weil sich die Strecke zieht und zieht und zieht. Und endlich passiert man den Ortseingang, wo sie eine mobile Geschwindigkeitsanzeigetafel aufgestellt haben. Sie zeigt ein trauriges rotes Gesicht. "Sie fahren 53 km/h." Das wäre dann doch zu schön, um wahr zu sein.

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