Mitten in Dachau:Dolmetscher bricht Prozess ab

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Weil der Übersetzer noch weitere Termine hat, verlässt er die Verhandlung im Amtsgericht, noch bevor ein Urteil gefallen ist.

Von Benjamin Emonts, Dachau

Selten war ein Prozess am Dachauer Amtsgericht so gut besucht wie an diesem Montagmorgen. Verhandelt wurde eine Körperverletzung durch Jugendliche, von der längst nicht bekannt ist, ob sie überhaupt eine war. Im Sitzungssaal nahmen dennoch drei Richter, die Staatsanwältin, die Protokollantin, zwei Bewährungshelfer, eine Vertreterin der Jugendgerichtshilfe, drei Angeklagte mit jeweils einem Verteidiger, zwei Pressevertreter und eine Hand voll Zuschauer Platz. Einer der Angeklagten, darauf weist der Richter später hin, musste extra aus Rumänien anreisen. Nach nur einer Stunde dann wird die Verhandlung unterbrochen und auf den 14. Dezember vertagt. Der ebenso banale wie erstaunliche Grund: Der Dolmetscher musste weg.

Der noch relativ junge Mann war bei weitem nicht das erste Mal am Dachauer Amtsgericht, er dürfte durchaus wissen, dass Gerichtsprozesse keine Sache von einer halben Stunde sind. Als Dolmetscher müsste er eigentlich auch wissen, dass er mindestens solange übersetzen muss, bis sein Klient vom Gericht entlassen wird. Umso erstaunlicher, ja an Dreistigkeit kaum zu überbieten war also seine Wortmeldung um kurz nach halb zehn: "Entschuldigen Sie, ich muss jetzt weg, weil ich um 10 Uhr zwei Termine in München habe." Amtsrichter Daniel Dorner wollte dies zunächst nicht realisieren, er blickte den Mann ungläubig an und klärte ihn auf, dass er bis zum Schluss bleiben müsse. Der eigentlich zurückhaltend wirkende Dolmetscher aber wollte gar nicht dran denken: "Ich muss jetzt wirklich gehen", sagte er fast schon gebetsmühlenartig. Schließlich habe er nicht wissen können, dass die Verhandlung solange dauert. Er sei davon ausgegangen, dass er die Aussage des Angeklagten übersetze und danach wieder gehen dürfe.

Amtsrichter Dorner bat den Dolmetscher schließlich, seine anderen Termine abzusagen und unterbrach die Verhandlung dafür kurz. Im Sitzungssaal brach derweil kollektives Kopfschütteln aus. "Eine Frechheit" sei das, sagte einer der Bewährungshelfer. Als Amtsrichter Dorner die Verhandlung dann fortsetzte, tat er das nur, um ihre Vertagung zu verkünden. Der Dolmetscher habe unaufschiebbare Termine. Man darf darauf gespannt sein, wer die Gerichtskosten letztendlich tragen wird. Der Dolmetscher mit Sicherheit nicht.

© SZ vom 24.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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