Mitten in Dachau:Das importierte Christkind

Bayerische Traditionsheinis meinen: "Bei uns gibt es das Christkind und keinen Weihnachtsmann." Doch diese Annahme beruht auf einem Denkfehler

Von Viktoria Großmann

Natürlich gibt es einen Weihnachtsmann. Das weiß doch jedes Kind. Dass die Erwachsenen es nicht mehr wissen, ist ihre Schuld. Man hat selbst noch bis kurz vor der Einschulung mit anderen schon sehr erwachsen tuenden Kindern Dispute um die Existenz des Weihnachtsmannes geführt. Wer sonst hätte wohl den Plüschhasen gebracht? Der kam von den Großeltern. Aber die lebten weit weg. Mitgebracht hatte ihn der Weihnachtsmann. Klarer Fall.

Nun ist es so, dass der Weihnachtsmann nicht überall sein kann. Der Weg in den Süden ist ihm zu weit. Die Leute hier sprechen anders. Sie denken auch anders. Sie haben Christkindlmärkte und auch ein Christkind. Irgendwer fühlte sich berufen, diese einfache Wahrheit an die ansonsten makellose Dachauer Rathauswand zu schmieren. "Bei uns gibts das Christkind und kein Weihnachtsmann!", steht dort Rot auf beigem Putz. Mit dem Akkusativ hat es der Schreiber nicht so. Dafür hat er oder sie ein Herz dazu gesetzt. Trotzdem: Integration sieht anders aus. Es klingt verdächtig nach bayerischem Mia-san-mia und die anderen sollen sich schleichen.

Der Denkfehler solcher Traditionsheinis liegt darin, dass sie glauben, sie und die ihrigen hätten alles selbst erfunden. Was Humbug ist. Auch Traditionen sind ein Import-Export-Geschäft. Im Falle des Christkindls liegt die für Katholiken bittere Wahrheit im Protestantismus. Wie Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler dieser Zeitung einmal erklärte, hatte Martin Luther mit der Heiligenverehrung den Nikolaus mit ausgekehrt. Das Schenken wurde auf den Weihnachtstag verschoben und Christkind und Weihnachtsmann lösten den Nikolaus als Gabenbringer weitgehend ab. In der Literatur stapfen die beiden schon seit Jahrhunderten gern gemeinsam durch den Winterwald. Als August Heinrich Hoffmann von Fallersleben 1835 das Lied "Morgen kommt der Weihnachtsmann" schrieb, war der Mann mit dem Bart schon an die 300 Jahre alt. Wer aber partout nicht an ihn glauben und ihn an Heiligabend nicht empfangen möchte, den soll die Kloosin holen - die gibt es nur im Dachauer Land.

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