Mitten im Landkreis:Die Ästhetik der Nudel-Wandlung

Zwei Wochen voller weihnachtlichem Bratenduft im Kreis der Familie - jetzt zieht der Alltag wieder ein

Von Korbinian Eisenberger

Bürotage sind wie ein Wettlauf gegen die Zeit. Schafft man es, vor 20 Uhr noch einkaufen zu gehen? Oder bleibt einem am Ende mal wieder nur eine vertrocknete Leberkässemmel vom grantigen Tankstellen-Verkäufer? Junggesellen-Tage enden dann oft mit einer Tüten-Nudelsuppe: heißes Wasser, zwei Minuten ziehen lassen, Ansprüche herunterfahren, vertilgen. Es gibt Leute, die würden das Junggesellen-Dasein in solchen Momenten als frustrierend einstufen.

Nach den Weihnachtsferien ist man schließlich etwas ganz anderes gewöhnt. Viele Eingeborene haben zwei Wochen lang mit ihren Familien bei Bratenduft verbracht, 14 Tage lang Plätzchen verzehrt und Punsch getrunken, vor Nadelbäumen Lieder gesungen, gemeinsam Geschenke ausgepackt und gemeinsam wieder fristgerecht zurückgeschickt. Die Familie hält in den Tagen zwischen Weihnachten und Heiligdreikönig fest zusammen, auch geografisch. Die Gemeinschaft verlässt nur, wer morgens Semmeln holt oder wer nach dem Skitag Holzscheite für den Kachelofen herbeischafft.

So schön und wichtig es ist, wenn die Familienbande echt sind, wenn die Mitglieder zusammen halten, wenn 14 Tage im Jahr dafür genutzt werden, sich die Geschichten eines Jahres im Dunstkreis von Glühwein und Gebäck zu erzählen: Irgendwann kommt der Moment, wo sich die Geschmacksnerven neutralisiert haben, dieser Moment, in dem sich der Junggeselle daran erinnert, wie befreiend es ist, wenn man mal alleine vor seinem Essen sitzt, nix erzählen und niemandem zuhören muss. Dann, wenn man wie sonst auch selbst der Regisseur seines Lebens ist.

Was zwei Wochen lang schön war, nervt irgendwann. Und auch wenn dann bei manchem die Stimmung kippt, so ist es doch erstrebenswert, diesen Wendepunkt mindestens einmal im Jahr zu erreichen. Nur dann verspürt man nach seiner Rückkehr in den Alltag ein innerliches Wohlbefinden, wenn einen der Mann an der Tankstelle anschnauzt oder wenn es mal wieder zu spät ist für den Supermarkt. Nur wer das Familienleben jedes Jahr in seiner geballten Intensität mitnimmt, erkennt am Jahresanfang die Ästhetik dieses Moments, wenn sich die Tütensuppen-Fäden im heißen Wasser zu Nüdelchen verwandeln.

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