Süddeutsche Zeitung

Mitten im Hallenbad:Anspannung, Entspannung

Drei Meter können ganz schön hoch sein, wenn man selbst noch sehr klein ist. Was hilft: Menschen, die an einen glauben und eine Arschbombe, die die Spannung löst

Glosse Von Niels P. Jørgensen

Drei Meter können ganz schön hoch sein. Ganz besonders, wenn man selbst noch nicht sehr groß ist und zum ersten Mal auf einem Sprungturm steht. Von hier oben kann die dunkelblau glitzernde Wasserfläche wie ein Abgrund wirken. Ein kleines Mädchen steht zögernd an der Kante der Sprunganlage im Dachauer Hallenbad. Man kann sehen, wie sie mit sich ringt. Soll sie es tatsächlich wagen? Sie rückt ihre Schwimmbrille zurecht, ein suchender Blick geht zum Rand der Halle, dort hinter den Fenstern des Cafés steht eine Frau mit einem kleinen Kind auf dem Arm, vielleicht die Mutter des Mädchens. Sie winkt aufmunternd, will Mut machen.

Die Kleine auf dem Turm lächelt verlegen, aber zögert immer noch. Dann dreht sie sich um, geht zurück und lässt ein paar andere wartende Kinder passieren. Aber sie gibt nicht auf, will es unbedingt noch einmal versuchen. Sie braucht diesen Sprung für ihr Schwimmabzeichen. Das weiß auch der Bademeister. Er klettert selbst die hohe Leiter hinauf. Spricht ganz ruhig mit dem Kind aber er drängt es nicht. Steht hinter ihr und hält ihr mit schier unendlicher Geduld minutenlang den Rücken frei. "Du schaffst das, trau Dich ruhig." Von unten muntert ihr Schwimmtrainer sie auf. Die anderen Kinder warten ganz still und ohne zu drängeln, viele Badegäste haben inzwischen ihre Bahnen unterbrochen und schauen wie gebannt zu. Eine Frau am Beckenrand wiederholt leise, wie zu sich selbst: "Du schaffst das!" Das Mädchen kämpft noch eine ganze Weile mit sich, setzt die Schwimmbrille auf und wieder ab, löst die Hände vom Geländer des Turms, klammert sich dann wieder fest. Schließlich setzt sie sich auf die Kante des Turms, zögert minutenlang, rückt unruhig hin und her, bis sie sich endlich fallen lässt. Schwimmtrainer und Bademeister applaudieren. Sie hat sich überwunden.

Sichtlich erleichtert schwimmt die Kleine an den Beckenrand. Aber für einen zweiten Versuch ist sie heute zu angespannt. Da klettert ihr Schwimmlehrer auf den Turm und liefert eine prächtige Arschbombe ab, das es nur so spritzt. Die Spannung ist endlich gelöst.

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Quelle:
SZ vom 18.10.2021
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