Mitten im Bierzelt:Im Anzapf-Fieber

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Es muss nicht immer Fußball sein. Bayern bietet viele schöne Bräuche, die sich ebenso zum Wettkampf eignen. Gerade jetzt, zur Volkfest-Zeit

Kolumne von Thomas Radlmaier

Na schön, die deutsche Fußballnationalmannschaft hat es bei der WM in Russland so richtig - Entschuldigung für den Ausdruck - verkackt. Kinder sind traurig, der gemeine Fan enttäuscht und die Biergarten-Wirte sauer, weil keiner mehr zum Public-Viewing kommen mag. Wie schlecht die Stimmung zu sein scheint, zeigt, dass jetzt schon Engländer die Deutschen aufmuntern müssen. Der Deutschland-Korrespondent der britischen Zeitung Economist sagte in einem Interview: "Cheer up Germany", also Kopf hoch Deutschland! Und er hat recht. Die Schwarzmalerei bringt ja nichts. Statt für den Fußball sollte man sich für andere Wettbewerbe begeistern.

Gerade in Bayern ist die Auswahl groß. Es gibt Zockereien jedweder Art. Fingerhakeln, Masskrug-Stemmen, Masskrug-Schubsen. Manche Menschen duellieren sich sogar darin, wer mehr Schnupftabak in die Nase ziehen kann. Doch da ist eine Sportart, deren Potenzial und Massentauglichkeit bisher noch unentdeckt blieb: Das Anzapfen. Erstens: Da normalerweise in Bierzelten angezapft wird, ist das Publikum für ein Public-Viewing schon da. Zweitens: Das Ganze hat einen nicht zu unterschätzenden Wettkampfcharakter. Schließlich schauen alle genau drauf, wie viele Schläge der Bürgermeister braucht, bis das Bier sauber aus dem Fass in die Mass fließt.

Man stellt sich Folgendes vor. Es ist das Finale der Landkreis-Zapf-Meisterschaft: Der Karlsfelder Bürgermeister Stefan Kolbe und der Dachauer Bürgermeister Florian Hartmann stehen beim Siedlerfest auf der Bierzelt-Bühne. In der rechten Hand einen Schlegel, in der linken ein Messingventil. Die Massen johlen. Für beide Bürgermeister war die Vorbereitung schlecht verlaufen. In sozialen Netzwerken war ein Foto aufgetaucht. Es zeigte Hartmann, wie er Ministerpräsident Markus Söder ein Fass übergibt. Darauf stand: "Für meinen Präsi." In Hartmanns SPD war die Verärgerung groß. Kolbe dagegen laborierte lange an einer Verletzung, gleichwohl hatte ihm Landkreis-Anzapf-Trainer Stefan Löwl das Vertrauen ausgesprochen. Dann fällt im Bierzelt der Startschuss. Die Bürgermeister zapfen. Es ist spannend. Das Publikum flippt vollkommen aus. Und durch die Körper strömt Serotonin.

© SZ vom 10.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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