Mitten im Berufsverkehr:Mentales Training in der S-Bahn

Lesezeit: 1 min

S-Bahn-Fahrgäste sind ja hart im Nehmen: Verzögerungen, Zugausfälle und schon auch mal übellauniges Personal. Und dann das: Auf der Fahrt von Dachau nach München ruft der Lokführer die Menschen auf, den Sonnenuntergang zu genießen

Kolumne von Benjamin Emonts

Die öffentlichen Verkehrsmittel rund um München - und damit sind vor allem die S-Bahnen gemeint - werden von ihren Fahrgästen nicht unbedingt als Gute-Laune-Bringer wahrgenommen. Dieser Eindruck ist durchaus berechtigt. Die ewigen Verspätungen und Zugausfälle, mit denen man als Pendler so gut wie täglich zu kämpfen hat, drücken nun mal aufs Gemüt. Wenn er Pech hat, begegnen dem Fahrgast obendrein diese doch gelegentlich merkwürdig düster dreinschauenden Männer, die sich heutzutage Kontrolleure schimpfen. Oder ein mies gelaunter Lok-Führer schnauzt einen an, weil man einen kurzen Moment zu nah an der Türschwelle stand.

Eine große Summe solcher oder ähnlicher Erfahrungen kann Menschen bereits so konditionieren, dass sie automatisch mit schlechter Laune den Bahnsteig betreten. Viel negatives Gedankengut setzt negative Energie frei - und die entlädt sich wiederum in negativen Ereignissen und Verhaltensweisen. Womöglich aber - und das gibt Grund zur Hoffnung - will der Münchner Verkehrsverbund (MVV) nun aus diesem Kreislauf der schlechten Laune ausbrechen und hat entsprechende Anweisungen an seine Lok-Führer gegeben. Die Fahrgäste einer S-Bahn konnten vor kurzem jedenfalls ihren Ohren kaum trauen, als sich kurz vor Laim eine freundliche, sympathische, ja fast schon erlösende Männerstimme über den Lautsprecher meldete. Aus heiterem Himmel erzählte sie im Stile eines Mentaltrainers besonnen drauf los. "Genießen Sie ihren Feierabend und die letzten Sonnenstrahlen an diesem schönen Abend", sagte der Mann fast schon meditativ. "Wir wünschen Ihnen eine gute Weiterfahrt und einen guten Heimweg." Die Abendsonne strahlte plötzlich noch heller.

Nur sind wir Deutschen ja doch zu pessimistisch, um unserem Glück zu trauen, selbst an eigentlich schönen Überraschungen suchen wir immerzu den Haken. Wieso zum Teufel sollte ein Lok-Führer so verdammt freundlich sein? Ein verdutzter Mann vermutete nach der Durchsage: "Der geht doch bestimmt morgen in Rente."

© SZ vom 16.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: