Mit dem Nikolaus unterwegs in Dachau:Himmelsboten im Einsatzwagen

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Ein Einsatz der etwas anderen Art: Nikolaus Sven Langer und Krampus Matteo Hoppe transportieren mit einem Lastwagen des Technischen Hilfswerks die Geschenke der Eltern zu ihren Kindern. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Da stauen die Kinder: Wenn die Männer des Technischen Hilfswerks mit einem Transportlaster Geschenke bringen, haben sie als Nikolaus und Krampus einen großen Auftritt

Von Anna-Elisa Jakob, Dachau

Staunend bleiben die Kinder am Straßenrand stehen: Als wäre der Transportlaster des Technischen Hilfswerks (THW) nicht aufsehenerregend genug in den Straßen dieser Dachauer Reihenhaussiedlung, sitzt auf dessen Rückbank kein Geringerer als der Heilige Nikolaus mit seinem Krampus. Der eine in lila Kutte, weißem Bart und goldenem Stab vor den Knien, der andere ganz in Schwarz, mit grüner Mütze und Tannenzweig am Ohr. Der große Auftritt ist ihnen sicher, als sie sich in ihren ganz und gar unpraktischen Gewändern aus dem Fahrzeug hieven - und das, obwohl sie sich doch gerade noch beratschlagt hatten, wie sie möglichst unauffällig zu ihrem ersten Einsatz des Abends gelangen sollen.

Eine Familie mit zwei Kindern wartet auf die beiden; das Mädchen ist drei, der Junge bereits in der Schule. Das ist ein Alter, in dem man besonders achtsam sein müsse, bemerkt Sven Langer, 39 Jahre alt, an diesem Abend Nikolaus. Die Kinder achteten auf jedes Detail - "wenn man Jeans und weiße Sneaker anzieht, ist das sofort verdächtig". Schließlich haben die Kinder den Nikolaus als klassische Figur vor Augen: weißer Bart, tiefe Stimme - und schwarze Schuhe. Welch großen Respekt die Kinder dieser Figur entgegenbringen, merken Sven Langer und sein Krampus Matteo Hoppe schnell auf ihrer heutigen Fahrt. Zurück auf der Rückbank erzählen sie nach den ersten Besuchen von Kindern, die ihnen bereits an der Türschwelle selbstgemalte Bilder entgegenstreckten, sich dann aber schnell wieder zurückzogen oder auf den Treppenabsatz flüchteten. Sven Langer wendet dann einen Trick an, den er von erfahrenen Nikolaus-Kollegen mit auf den Weg bekommen hat: Bevor er sich an ein Kind wendet, übergibt er ihm den goldenen Stab. "Das nimmt die Angst und schafft Vertrauen", erklärt er.

Die Balance zu halten zwischen der mahnenden Respektsperson und dem freundlichen alten Mann mit Bart - das ist wohl die schwierigste Herausforderung. Dabei geht es schließlich nicht nur um die Figur des Nikolauses, sondern vielmehr um Erziehung, das Eindringen in die private Welt von Familien und der sensiblen Sphäre der Kinder. Sobald er in das Kostüm des Nikolauses schlüpft, wird Langer zur mystifizierten Respektsperson, und sowohl Lob als auch Tadel machen großen Eindruck auf die Kleinen. Eigentlich ist er als Nikolaus dabei nur Sprachrohr der Eltern, die ihm zuvor eine Mail schicken und darin all das schildern, was er über das Kind wissen sollte - wie alt es ist, was es in seiner Freizeit macht, was es gerne mag, für was es gelobt und für was es gerügt werden sollte.

Wichtig ist ihm, dass es immer mehr Lob als Tadel gibt. Auch Aussagen wegzustreichen, die er nicht für angemessen empfindet, behält er sich vor. Doch Langer hat Glück. Die Familien, die er an diesem Abend besucht, haben ihm im Vorhinein viele herzliche Worte geliefert. Da wünschen Eltern ihren Kindern, dass sie niemals ihr schönes Lachen verlieren sollten, loben sie dafür, wie hilfsbereit sie anderen gegenüber seien oder wie stolz darauf, was sie im vergangenen Jahr alles geschafft hätten. Die Kleinsten hören vom Nikolaus häufig, dass es an der Zeit wäre, ihren Schnuller abzugeben. Einen Tadel schrieben jedoch alle Eltern auf, bemerkt Langer, als er durch seine goldene Mappe blättert: "Dass das Kind nicht auf seine Eltern hört . . ."

Für den 21-jährigen Matteo Hoppe ist es das erste Jahr als Krampus. Schon nach den ersten Besuchen fällt ihm auf, wie unterschiedlich dieser Abend in den Familien abläuft. Bei manchen Familien darf Hoppe an diesem Abend nicht ins Haus, denn sie möchten keinen Krampus. "Das sind meist diejenigen mit jungen Kindern, bei denen der Nikolaus das erste Mal kommt", sagt Langer. Dabei sei der THW-Krampus ein ganz handzahmer - einer, der einzig die Geschenke aus dem Sack holt, zwar mit grimmigem Blick, aber weder spricht noch mit seiner Rute auf den Boden klopft.

Später, als die Dämmerung eingesetzt hat, ist es für die beiden leichter, unauffällig zur nächsten Familie zu huschen. Schwieriger wird es nur für Krampus Hoppe, der erst mal vor jedem Haus die Geschenke einsammeln muss. Schon allein aus koordinatorischen Gründen ist Sven Langer froh, wenn er den Krampus an seiner Seite hat. Das sehe ja immer alles so einfach aus, sagt er. Aber den Stab halten, Geschenke tragen, das Buch in der Hand aufschlagen, die Kinder begrüßen, die richtigen Worte finden und immer wieder den kratzenden Bart zurechtrücken - das ist dann doch ziemlich viel auf einmal. Auch, weil die Menge an Geschenken immer größer werde. "Das sehen auch die anderen Nikoläuse", bestätigt er. Heutzutage gebe es meist mehrere Päckchen pro Kind, während sie früher nur mit Schokolade, Nüssen und Mandarinen beschenkt wurden.

Im Innern des Wagens wirkt es so, als wären die Männer - alle drei langjährige Mitglieder des THW Dachau - tatsächlich auf einem Einsatz, so konzentriert und organisiert führen sie die Aktion durch. Die goldene Mappe enthält einen perfekt getakteten Zeitplan und Fahrer Moritz Heisner manövriert nicht nur den breiten Wagen durch die Straßen Dachaus, sondern weist Nikolaus und Krampus auf dem Handy die schnellste Route zum nächsten Haus.

Obwohl sie genügend Zeit als Puffer vorgesehen haben, gibt es immer Dinge, die selbst ein bestens organisiertes Nikolaus-Team nicht planen kann. Zum Beispiel, als die Kinder dann doch deutlich länger ihre Weihnachtslieder vortragen als erwartet, Heisner deswegen möglichst nah am nächsten Haus parkt, doch Nikolaus und Krampus in die falsche Richtung laufen. Schlimm ist das nicht, die beiden werden an jeder Haustür freudig empfangen. Sorgen macht sich Langer vielmehr um die Eltern der Kinder, die sie am frühen Abend auf der Straße umringt hatten. "In deren Haut möchte ich jetzt nicht stecken", sagt Langer, der selbst Familienvater ist und weiß, welch elterliche Fantasie es gerade in der Weihnachtszeit brauche. Welche Erklärung sich nur dafür finden lasse, wenn plötzlich Nikolaus und Krampus aus dem Einsatzwagen des THW springen?

© SZ vom 09.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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