Mildes Urteil:Keine Anhaltspunkte für "gefühllose Gesinnung"

Amtsgericht verurteilt Vater, der seinem Baby das Bein gebrochen haben soll, nur wegen fahrlässiger Körperverletzung

Von Thomas Hürner, Dachau

Zeugen sollten die Wahrheit ans Licht bringen in einem Fall, der im September ohne Ergebnis verhandelt wurde. Die zentrale Frage konnte aber auch diesmal nicht beantwortet werden: Was geschah wirklich an jenem Abend im Mai des vergangenen Jahres, bevor ein 23-Jähriger mit seinem gerade einmal vier Wochen alten und laut schreienden Kind ins Nymphenburger Krankenhaus kam?

Auch am Mittwochnachmittag stand eigentlich nur so viel fest: Der Oberschenkel des Säuglings war gebrochen, nicht glatt, sondern quer. Für den Rechtsmediziner, der am ersten Verhandlungstag als Zeuge ausgesagt hatte, ist die Verletzung nur auf "intensive Gewalteinwirkung" zurückzuführen, etwa mit einer händisch ausgeführten Drehbewegung am Bein des Kindes. Der Angeklagte bestritt diesen Vorwurf jedoch bis zuletzt. Insgesamt vier verschiedene Varianten darüber, wie die Verletzung aus Versehen zustande gekommen sein könnte, hat er im Laufe des Prozesses entweder über seinen Anwalt vortragen lassen oder selbst bei zuständigen Behörden geschildert. Ein Vorsatz konnte ihm trotz der Einschätzung des Gutachters aber nicht nachgewiesen werden, befand Richter Lukas Neubeck, der daher von einer Verurteilung wegen Missbrauchs von Schutzbefohlenen absah. Statt der Forderung der Staatsanwaltschaft lautete das Urteil: fahrlässige Körperverletzung und eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen à 10 Euro. Richter Neubeck argumentierte, dass lediglich zwei Dinge als Tatsache feststünden: Die Verletzung, eine sogenannte Spinalfraktur. Und, dass für diese Verletzung eine einzelne Handlung ausgereicht hätte. Der Tatbestand der Misshandlung von Schutzbefohlenen sehe aber noch eine "innere Seite" der Handlung vor, also eine besondere Gefühllosigkeit oder einen klaren Vorsatz über einen längeren Zeitraum. "Die Beispiele in Rechtssprechungen sind allesamt repetitive Handlungen", erklärte Neubeck, "dafür gibt es hier aber keine Anhaltspunkte."

Schuldmindernd waren für den Angeklagten außerdem die vollständige Genesung des Kindes und seine günstige Sozialprognose. Für diese war vor allem die Zeugenaussage einer Sachbearbeiterin vom Landratsamt ausschlaggebend. Noch während des Krankenhausaufenthalts des Kindes wurde das Jugendamt verständigt, das die Eltern ab diesem Zeitpunkt neun Monate lang im Rahmen einer Hilfsmaßnahme begleitete. Die Eltern hätten sich "zu jeder Zeit kooperativ gezeigt" und "immer versucht, alle Ratschläge umzusetzen", sagte die Sachbearbeiterin. Nach dem Vorfall sei bei ihnen zwar auch eine "gewisse Unsicherheit im Umgang mit so einem kleinen Kind" zu spüren gewesen. "Sie waren aber engagiert und haben viele Fragen gestellt", so die Sachbearbeiterin. Ein Nachbar, der zum Zeitpunkt des Vorfalls neben den Eltern in einer kleinen Containersiedlung in Karlsfeld lebte, konnte nichts Wesentliches zum Umgang mit dem Kind beitragen. Der dritte geladene Zeuge, ebenfalls ein Nachbar, war nicht zur Verhandlung erschienen.

Die Staatsanwältin sah es trotz der dünnen Faktenlage bis zuletzt als erwiesen an, dass es sich um einen Missbrauch von Schutzbefohlenen handelte. Sie argumentierte mit der Schwere der Verletzung und damit, dass "eine gefühllose Gesinnung auch in einer Situation" für diesen Tatbestand reichten. So ganz nachvollziehen könne er diesen Standpunkt in Anbetracht der Fakten nicht, sagte Richter Neubeck. Der unzufriedene Blick der Staatsanwältin nach seinem Urteilsspruch ließ ihn aber noch eine Prognose wagen: "Wahrscheinlich darf sich das Landgericht jetzt damit beschäftigen."

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