Süddeutsche Zeitung

Fleischerhandwerk auf dem Rückzug:Metzgerei Glas schließt

Der Betreiber gibt zwar persönliche Gründe für die Schließung zum Ende des Jahres an; doch Innungsmeister Werner Braun macht keinen Hehl daraus, dass es der Branche schlecht geht. Er appelliert an den Staat und die Kunden

Von Julia Putzger, Dachau

Frustration, fehlende Unterstützung, hohe Kosten, kein Nachwuchs: Irgendwann wird es einfach zu viel. "Wir halbieren uns alle zehn Jahre", sagt Werner Braun, Obermeister der Metzgerinnung Dachau-Freising und stellvertretender Landesinnungsmeister des Fleischerverbands Bayern über seinen Berufsstand. Schon seit Jahren müssen immer mehr Metzgereien schließen. In Dachau trifft es nun die Metzgerei Glas an der Mittermayerstraße. Zum Jahresende stellt Christian Glas den Betrieb ein - wie es weitergeht, ob jemand das Geschäft übernimmt, weiß er noch nicht.

Für Christian Glas' Entscheidung gab es letztlich persönliche Gründe, über die er nicht sprechen möchte. Doch selbst wenn man nur am Telefon mit ihm spricht, wird schnell klar: Es ist einiges im Argen im Metzgerhandwerk. Glas sagt nur so viel: "Die Stimmung ist bei allen im lebensmittelverarbeitenden Handwerk schlecht. Die Leute werden sich noch wundern in den nächsten ein bis zwei Jahren."

Was Glas andeutet, ist unter anderem ein schleichender Wandel im Konsumverhalten der Kunden. Während 1999 nur sechs Prozent des in Deutschland verkauften Frischfleischs vom Discounter aus in die Kühlschränke wanderte, waren es 2016 schon mehr als 40 Prozent. Gleichzeitig kaufen laut Untersuchungen der Heinrich-Böll-Stiftung im Jahr 2016 nur 22 Prozent der Deutschen ihr Fleisch beim Metzger oder auf dem Markt. Hinzu kommt, dass mittlerweile generell weniger Fleisch konsumiert wird, wie der Pro-Kopf-Fleischverzehr zeigt: Lag die verzehrte Jahresmenge 2011 bei durchschnittlich 62,8 Kilogramm, waren es 2021 nur noch 56,8 Kilogramm.

Trotz lokaler Unterschiede und leichten Veränderungen gegenüber den Studien von vor fünf Jahren: Die Situation ist für die hiesigen Metzgereien keine einfache. Innungsmeister Braun betreibt deshalb nicht nur den Huberwirt mit Metzgerei und Gasthof in Wiedenzhausen, sondern "kämpft in alle Richtungen", wie er sagt. Dazu gehören beinahe tägliche Telefonate mit dem Ministerium, Briefe an die Bundestagsabgeordneten, aber auch der Versuch, die Stimmung in den eigenen Reihen aufrecht zu halten.

Trotzdem muss Werner Braun immer häufiger feststellen, dass sein Kampf dem von Don Quijote gegen die Windmühlen gleicht: "Durch die Bank weg - alle Metzger sind frustriert. Was demotivierend ist, ist vor allem, dass wir nicht unterstützt werden." Beispiele für diese These hat er genügend auf Lager. Da ist etwa das Thema Integration: Die Metzgereien würden gerne mehr Geflüchtete ausbilden, doch ohne die Sicherheit, dass der Ausgebildete längerfristig in Deutschland arbeiten darf, sei das schwierig. Oder etwa die zahlreichen Regularien: "Es wird nicht unterschieden zwischen Industrie und Handwerk", beklagt Braun. Zwar hätten zum Beispiel einige EU-Verordnungen dem Metzgerhandwerk auch geholfen. Doch öfter habe man das Gefühl, als kleiner Betrieb benachteiligt zu werden. Beispiel dafür gibt es auch hier genug: Wer schlachtet, muss etwa eine Konfiskatgebühr an die Tierkörperbeseitigungsanstalten zahlen, die Großschlachthöfe oft umgehen, indem sie ihre großen Abfallmengen von Tierfutterherstellern verwerten lassen. Auch die Fleischbeschau kostet den Handwerksmeister wesentlich mehr als den industriellen Großbetrieb. Und in seinem jüngsten Brief an mehrere Abgeordnete zeigt sich Braun besorgt über den "ungebremsten Preisanstieg am Strommarkt", der wiederum sehr hohe Auswirkungen auf die Verkaufspreise haben werde. Im Angesicht all dieser Schwierigkeiten sei die Entscheidung von Christian Glas nur zu gut nachvollziehbar, so Braun.

Was sich Innungsmeister im Namen der Metzger deshalb auch von der neuen Bundesregierung wünscht: "Dass die Handwerksbetriebe, so wie zuletzt die Bauern, an die Hand genommen werden." Denn dass die Politiker die Probleme der Landwirte mittlerweile auf dem Schirm haben, zeigt ein Dringlichkeitsantrag der Freien Wähler im bayerischen Landtag samt Pressemitteilung ganz beispielhaft: Da sich der Schweinepreis innerhalb eines Jahres nahezu halbiert habe, fordern sie staatliche Unterstützung, um dem Höfesterben entgegenzuwirken. Keine Rede ist auf den insgesamt vier Seiten von den Metzgern.

Doch auch in Richtung der Kunden hat Braun einen dringenden Appell: Man dürfe nicht nur immer von gutem Bio-Brot, saisonal-regionalem Gemüse oder eben Fleisch aus artgerechter Tierhaltung sprechen - sondern müsse all diese Produkte dann auch kaufen. Denn der Markt biete das, was der Kunde wolle.

Nur jammern möchte Braun dann aber nicht: "Dieser Beruf ist meine Passion, das habe ich im Herzen." Ein kleiner Lichtblick ist zudem die steigende Zahl der Lehrlinge, zehn und damit doppelt so viele wie im Vorjahr haben heuer ihre Ausbildung in den Betrieben der Innung Dachau-Freising begonnen. Mit rechtzeitig modernisierten Betrieben und der Bereitschaft zu Innovation habe schließlich auch das Metzgerhandwerk in Bayern Zukunft.

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Quelle:
SZ vom 19.10.2021
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