Messerangriff:21-Jähriger sticht im Wahn auf seinen Stiefgroßvater ein

Der Mann leidet offenbar infolge von jahrelangem Cannabiskonsum an einer Psychose. Er muss sich vor dem Landgericht München verantworten

Von Andreas Salch, Dachau

Mit 14 oder 15 Jahren drehte er sich seinen ersten Joint. "Einfach so", seine Freunde hätten das auch gemacht, sagt der junge Mann. Inzwischen ist er 21 Jahre alt. Nachdem er begonnen hatte, Cannabis zu rauchen, hörte er nicht mehr damit auf. Offenbar wurde er durch den Konsum psychotisch. Am Dienstagmorgen führten den gebürtigen Dachauer zwei Wachtmeister in den Sitzungssaal B 166 im Strafjustizzentrum an der Nymphenburger Straße in München, wo er auf der Anklagebank Platz nehmen musste.

Das Amtsgericht München hatte Ende Oktober vergangenen Jahres die einstweilige Unterbringung des 21-Jährigen in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik angeordnet. Nach dem Willen der Staatsanwaltschaft soll er dort auf unabsehbare Zeit bleiben, weil er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle. Der 21-Jährige lebte bis zu seiner Unterbringung bei seiner Mutter und seinem Stiefvater. In der Nacht auf den 31. Oktober 2017 hatte er Besuch von seiner Freundin.

Morgens gegen 1 Uhr hatte er ihr unvermittelt mit den Fäusten ins Gesicht geschlagen und sie gewürgt, bis ihr die Luft wegblieb. Wenige Stunden später attackierte er in dem Anwesen sogar seinen Stiefgroßvater mit einem Küchenmesser mit einer knapp 20 Zentimeter langen Klinge. Den ersten Stich hatte der 84-Jährige noch abwehren können. Der zweite traf ihn am Kopf hinter dem linken Ohr. Mit dem dritten Stich durchbohrte der 21-Jährige ihm jedoch die linke Wange. Trotz der schweren Verletzung war es dem 84-Jährigen gelungen, zu fliehen. Sein Stiefenkel sah anschließend fern, bis die Polizei kam und ihn festnahm.

Wie es ihm gehe, fragte die Vorsitzende, Richterin Regina Holstein den 21-Jährigen zu Beginn des Prozesses. "Nicht gut, ich bin sehr aufgeregt." Ob es ihm kalt sei, erkundigte sich die Richterin. "Sie zittern, sehe ich." Nein, es sei die Aufregung, erwiderte der Dachauer und berichtete von dem schwierigen Verhältnis zu seinem Stiefvater. Ständig habe er sich mit ihm gestritten, "wegen vieler Kleinigkeiten." Er habe zuhause "nie frei leben können", sagte der 21-Jährige. Beim Konsum von Cannabis habe er sich entspannen können.

In den Wochen und Monaten vor jenem 31. Oktober 2017 habe er immer mehr geraucht. Angeblich bis zu zwei Gramm am Tag. Er habe sich in dieser Zeit von seinem Stiefvater "sehr unterdrückt gefühlt". Das meiste von dem Geld, das er als Zahnmedizinischer Fachangestellter verdiente, habe er an Automaten in Spielhallen verspielt, sagte der Dachauer. Das Spielen sei mit der Zeit auch zu einer Sucht geworden. Vor seiner Unterbringung habe er sich traurig und leer gefühlt.

In den Tagen vor der Tat habe er Dinge, die er im Fernsehen gesehen habe, "auf sich bezogen." Er habe geglaubt, er sei Gott. In der Nacht des 31. Oktober sei seine Freundin von einer Party gekommen. Er habe eine Narbe in ihrem Gesicht gesehen und sei davon überzeugt gewesen, dass der Geist seines verstorbenen Opas in seiner Freundin sei. Er habe geschrien, so der 21-Jährige, und seine Freundin aufgefordert, in den Fernseher zu schauen, damit ihr der Geist ausgetrieben werde. Doch sie habe sich geweigert. Daraufhin habe er ihr "eine mitgegeben", berichtete der 21-Jährige. An alles könne er sich nicht mehr erinnern, versicherte er der Richterin.

In den frühen Morgenstunden gegen 5.30 Uhr war der Dachauer dann zum Haus seines Stiefgroßvaters gelaufen. Dort warf er eine gläserne Vase gegen eine Terrassentür. Als der 84-Jährige herauskam, bat er ihn, mit zum Anwesen seines Stiefvaters und seiner Mutter zu kommen, was der Mann auch tat. Fast wäre er deshalb gestorben. Er habe befürchtet, ein Geist, den er in dem alten Mann vermutet habe, wolle ihn töten, sagte der 21-Jährige. Sein Stiefgroßvater habe ihm auf die Brust geschlagen, als er das Messer gesehen habe. Da habe er zugestochen, so der Dachauer. Der Polizei sagte er, er habe den 84-Jährigen getötet. Es tue ihm unendlich leid, was passiert sei, beteuerte der 21-Jährige bei seiner Vernehmung. "Ohne Psychose wäre ich nie auf die Idee gekommen, jemanden umzubringen - das bin ich nicht", sagte er. Ein Urteil in dem Prozess wird noch in dieser Woche erwartet.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: