Mein Lieblingsbild:Vom Verschwinden im System

Die Installation "Must win overview" ist für den Mathematiker Thomas Weigl ein Abbild unserer Zeit

Von Bärbel Schäfer, Dachau

Als promovierter Mathematiker ist Thomas Weigl mit der Welt der Computer und IT-Systeme vertraut. Er schätzt die Möglichkeiten, ist sich aber auch der Gefahren und Risiken der Technik bewusst, muss beruflich damit umgehen. In der Ausstellung der KVD "1984" im ehemaligen MD-Verwaltungsgebäude geht es genau darum. "Analysiert man George Orwells Roman, dann muss man feststellen, dass unsere Zeit zum Teil noch schlimmer ist als seine Vision für 1984", sagt Thomas Weigl. Der 43-Jährige stammt aus Hilgertshausen und arbeitet für einen großen Versicherungskonzern im Projektmanagement. Mit "schlimmer" meint er den hemmungslosen, alle Grenzen überschreitenden Datenfluss und den Eingriff in die Privatsphäre der Menschen.

"Als Internet-Nutzer bemerkt man die Überwachung ja nicht einmal", sagt Weigl. Deshalb fasziniert ihn die Arbeit von Agnes Jänsch. In einem Video blickt eine junge Frau vier Minuten lang unverwandt den Betrachter an, ohne erkennbare Mimik und ohne Lidschlag. So wird der Besucher zum Beobachteten und die im Video Porträtierte zur Beobachterin. Sie scheint den Raum - analog zu einem technischen Kontrollsystem - permanent zu überwachen. Noch stärker angesprochen aber fühlt sich Thomas Weigl von der Gemeinschaftsarbeit von Barbara Herold und Florian Huth mit dem Titel "Must Win Overview". In drei aufeinanderfolgenden Räumen untersucht eine mehrteilige multimediale Installation die absurden Auswüchse von Optimierung, nicht nur in der Wirtschaft sondern in sämtlichen Lebensbereichen. An den Türstürzen hängen in Leuchtschrift die Schlagworte "Total", "Quality", "Control".

Als Besucher bemerkt man erst nach einer Weile, dass sie sich in der Abfolge zum Slogan verbinden. Der optimierte Mensch wird zum reibungslos funktionierenden Bestandteil eines auf Effizienz und Wachstum ausgerichteten Systems. Perfektioniert in allen Bereichen, bis hin zum eigenen Körper. "Mich faszinieren die klaren Strukturen und die Logik an der Mathematik. Wenn die Kunst in der Lage ist, ihre dunklen Seiten aufzuzeigen, finde ich das wichtig und sehr spannend. Ich interessiere mich auch sehr für Musik. Die Parallelen zur Mathematik sind da ja auch vorhanden, zum Beispiel bei Bach." Thomas Weigl hält Zeitmanagement und Qualitätsmanagement im Beruf für notwendig, im privaten Bereich hat es aber klare Grenzen.

"An den persönlichen Daten sind ja sofort wieder andere interessiert", so Weigl. Dass der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen heuer erstmals einen Sonderberichterstatter für Datenschutz ernannt hat, ist für Weigl ein erster Schritt zu mehr Sicherheit im Netz. Auch, dass der neue UNO-Sonderberichterstatter, der Juraprofessor Joseph Cannataci, im Stil der Genfer Konvention einen Völkerrechtsvertrag für Datenschutz und gegen geheime Massenüberwachung fordert. Thomas Weigl sieht ein grundsätzliches Problem: "Unsere Gesellschaft hat noch nicht die Balance gefunden zwischen dem Schutz der Privatsphäre, den Interessen der Wirtschaft und einem wehrhaften Staat."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: