Mehr als 20 Nationen:Ein Haus der Begegnung

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Im Mannheimer-Zentrum erzählen Überlebende des Holocaust 100 Jugendlichen aus aller Welt ihre Geschichte und feiern mit ihnen das Leben

Von Marie Groppenbächer

Vor zwanzig Jahren war die Eingangshalle des Jugendgästehauses noch voller Zeitzeugen, die aus der ganzen Welt angereist waren. Zwei Jahrzehnte später sind es gerade noch fünf, die anlässlich der 36. Internationalen Jugendbegegnung nach Dachau gekommen sind. Die rund einhundert Jugendlichen aus mehr als 20 Ländern, die dieses Jahr dabei sind, werden zu den letzten gehören, die noch die Chance bekommen, Zeitzeugen zu begegnen, denen Überlebende von den furchtbaren Verbrechen und Schrecken des Naziregimes erzählen. Und genau darum geht es auch an diesem Samstagnachmittag. "Wir sind hier, um uns an den Mut und die Widerstandsfähigkeit von Millionen von Opfern des nationalsozialistischen Regimes zu erinnern und ihre Erinnerungen mit Hilfe der Überlebenden wach zu halten", bringt es Gali Meshel, Teilnehmerin aus Israel, in ihrer Begrüßungsrede auf den Punkt.

Doch nicht nur Gedenken und schmerzvolle Erinnerung sind angesagt - festlich, heiter ist die Stimmung unter den Gästen, die sich im Garten des Max-Mannheimer-Hauses, wie das Jugendgästehaus seit 2016 zu Ehren des Auschwitz-Überlebenden heißt, tummeln. Wer konnte, hat sich ein Plätzchen im Schatten gesucht. Michael Waldhäuser, Geschäftsführer der Stiftung Jugendgästehaus Dachau, begrüßt die Gäste zum Fest der Begegnung und dem gleichzeitig gefeierten 20. Jubiläum des Hauses. Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) ist gekommen, die stellvertretende Landrätin Marianne Klaffki (SPD), die Karmeliterin Elija Boßler, die langjährige Vertraute von Max Mannheimer, der als Vizepräsident des Internationalen Dachau-Komitees und Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau bis zu seinem Tod 2016 die deutsche Erinnerungskultur geprägt hat.

Teilnehmer der Jugendbegegnung treten auf der Bühne auf. (Foto: Niels P. Jørgensen)

"Das Max-Mannheimer-Haus spiegelt wieder, wie Dachau mit seiner Vergangenheit umgeht", sagt Florian Hartmann. Als die Internationale Jugendbegegnung 1983 das erste Mal stattfand, gab es das große einladende Haus mit idyllischem Garten in der Roßwachtstraße 15 noch nicht. Damals mussten sich die jungen Leute noch mit einer weniger stabilen Unterkunft begnügen. Der Weg vom Zelt zum Haus war steinig, "die Stadt Dachau tat sich damit schwer". Nicht wenige Kommunalpolitiker und Teile der Bevölkerung bekämpften die Gründung und den Bau eines Jugendgästehauses. Erst in den späten 1990er Jahren veränderte sich der Umgang mit der Nazigeschichte. Am 4. Mai 1998 wurde das Haus offiziell eröffnet. Zum einen dient es als Jugendherberge und als Studienzentrum mit einem reichen pädagogischen Angebot.

Dazu gehört auch die 14-tägige Internationale Jugendbegegnung. Getragen wird das Projekt vom Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), dem Förderverein für Internationale Jugendbegegnung und Gedenkstättenarbeit sowie dem Kreisjugendring. Erklärtes Ziel: Erinnerung an die Geschichte des Nationalsozialismus auch des Konzentrationslagers Dachau; Begegnung junger Menschen, Lernen aus der Geschichte und das gemeinsame Vorhaben, Zukunft zu gestalten. In den zwei Wochen besuchen die Jugendlichen zwischen 16 und 27 Jahren die KZ-Gedenkstätte und nehmen an Workshops teil. "Dabei stehen die Besuche der Zeitzeugen im Mittelpunkt", erklärt Agathe Halmen aus Rumänien. Die Teamerin und ihr deutscher Kollege Cosmas Tanzer führen auf Deutsch und Englisch durch den Nachmittag. Für Agatha ist das Gespräch mit den Zeitzeugen besonders wichtig. Sie möchte einmal Geschichte weitergeben können. Die Teilnehmer kommen aus der ganzen Welt. Nur aus Dachau ist keiner dabei. Hartmann erklärt sich das so: "Das Fest fällt immer in die Urlaubszeit, und die meisten Jugendlichen wollen lieber die Gelegenheit nutzen, in andere Städte und Länder zu reisen." Woran es genau liege, wisse er aber auch nicht. In jedem Fall sei die Veranstaltung für die Stadt wichtig, angesichts des Rechtsrucks in Politik und Gesellschaft. "Die Jugend ist der Schlüssel."

Die stellvertretende Landrätin Marianne Klaffki, Schwester Elija Boßler und Kurt Schlosser sind in ein Gespräch vertieft. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Der Israeli Abba Naor kommt jedes Jahr. "Ich verspreche, ich werde keine Rede halten", sagt der Holocaustüberlebende, betritt für seine 90 Jahre ziemlich flott die Bühne und zaubert ein Schmunzeln auf die Gesichter. Doch dann wird er ernst. Seine Generation gebe es bald nicht mehr. "Wir sind die letzten, die davon erzählen können. Vergesst nicht und behaltet es nicht für euch", ruft er den jungen Leuten zu. Der "Ruck nach rechts", wie er es auf Deutsch in seiner englischen Rede nennt, dränge dazu, gesellschaftlich und politisch aktiv zu werden. Er hätte sich beim besten Willen nie vorstellen können, dass das in seinem Leben noch einmal passieren könne. Er fordert die jungen Leute auf, Verantwortung zu übernehmen. "Behaltet es nicht für euch", wiederholt Abba Naor zum Schluss. Wie alle Überlebenden quält ihn die Sorge, dass ihre Erfahrungen einmal vergessen sein könnten. Dagegen singen alle abschließend das Lied "Wir leben ewig".

Neu in diesem Jahr ist das Max-Mannheimer-Stipendium. Marian Sophia Cruz und Carl Joshua de Leon von den Philippinen sind die Stipendiaten. Das Auswahlkomitee, bestehend aus der Projektleitung, Zeitgeschichtsreferent Günther Heinritz (SPD) und Andrea Heller vom Förderverein, habe die beiden wegen ihrer kreativen Projektidee - diese ist Teil der Bewerbung - ausgewählt, erzählt Robert Philippsberg, Referent des Kreisjugendrings. Er hat die Veranstaltung in diesem Jahr organisiert. Die Stipendiaten wollen aus ihren Erlebnissen in Dachau einen Film machen. Manche Teilnehmer sind schon öfter dabei gewesen. Philippsberg ist, wie er sagt, glücklich über den Verlauf der ersten Projektwoche. Da heuer auch ein Jubiläum gefeiert falle das Fest größer und vor allem musikalischer aus, das sei besonders schön.

Johannes Wirthmüller von Outer Circle hängt Farbdrucke zum Trockenen auf. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Inzwischen riecht es nach veganen Burgern, Bratwurst und Waffeln. Die Teilnehmer sitzen in Grüppchen an Biertischen. Einige üben sich im Art Space, einem Zelt, in der Graffiti-Kunst. Kurz nach sechs Uhr geht die Party los. Die Big Band Dachau glitzert in silbernen und goldenen Gewändern auf der Bühne. "Take your seats now, fasten your seatbelts", ruft Bandleiter Tom Jahn in die Menge. Dann legen sie los. J.J. Jones aus München dominiert sofort die Bühne. Eigentlich sollte Esther Bejarano mit auftreten. Auf die Auschwitz-Überlebende und Musikerin hatten sich viele gefreut, aber die 93-Jährige hatte wegen der Hitze absagen müssen.

Nicht nur Schwester Elija Boßler vermisste Max Mannheimer. Sein Name fiel in den Gesprächen immer wieder - er auf jeden Fall ist nicht vergessen.

© SZ vom 06.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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