Max Mannheimer:Das Vermächtnis eines Furchtlosen

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Der Holocaust-Überlebende Max Mannheimer ist vor dreieinhalb Jahren gestorben. Zu seinem 100. Geburtstag am 6. Februar erinnern sein Sohn Ernst und seine Tochter Eva auf zwei Veranstaltungen an ihren Vater

Von Helmut Zeller, Dachau

Zu seinem 100. Geburtstag hatte Max Mannheimer seine Freunde schon Jahre davor eingeladen, mit einem Augenzwinkern zwar, aber durchaus in der Absicht, diesen Tag zu erleben. Am 6. Februar wäre es so weit. Doch es kam anders. Max Mannheimer starb am 23. September 2016 im Alter von 96 Jahren. Den Tod fürchtete er nicht. Zu oft hatte er ihn gesehen - in Auschwitz, Warschau und Dachau. Aber er trug sich noch mit Plänen, und deshalb fürchteten seine Mitstreiter seinen Tod. "Du warst einzigartig, du bist unersetzlich", wie Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, bei der Trauerfeier vor mehr als drei Jahren in München es ausdrückte. Die Lücke, die sein Tod gerissen hat, bleibt, seine Stimme ist verstummt - die Erinnerung an ihn aber lebt.

Am Donnerstag, den 6. Februar eben, lädt die KZ-Gedenkstätte Dachau um 19 Uhr zu einer besonderen Veranstaltung in das Besucherzentrum ein. Ernst Mannheimer wird über das Leben mit seinem Vater sprechen. Der Mahner, der Versöhner, der Zeitzeuge - alles Attribute, die dem Auschwitz-Überlebenden Max Mannheimer zugeschrieben wurden. Zu Recht. Aber Ernst Mannheimer wird auch einen intimeren Blick auf seinen Vater werfen, dessen Leben sich nicht darin erschöpfte, dass er ein - wenngleich auch großartiger - Zeitzeuge war. Er war auch ein liebender und gütiger Vater, ein Künstler, der unter dem Pseudonym "ben jakov" (Sohn des Jakobs) seit den 1950er Jahren viele Bilder malte, zunächst in therapeutischer Absicht, um in der Sprache der Farben seine traumatische Erfahrung des deutschen Judenhasses auszudrücken. Darüber sprechen konnte er lange Jahre nicht - zu groß war der Schmerz.

Max Mannheimer wurde 1920 im mährischen Nový Jičín (Neutitschein) in eine jüdische Kaufmannsfamilie geboren. Die erste Tschechoslowakische Republik unter dem Staatspräsidenten Tomáš Masaryk war eine Insel der Demokratie in Europa. Der Philosoph, Soziologe und Schriftsteller trat vehement gegen Antisemitismus ein. In Israel tragen Plätze, Straßen und ein Kibbuz seinen Namen. Die Zukunft des jungen Max erstarb, als Deutschland sich nach dem Münchner Abkommen im September 1938 das Sudetenland einverleibte. Wenige Wochen später, am 10. Oktober, marschieren deutsche Truppen auch in seine Heimatstadt ein. Die Familie flüchtet in den freien Teil des Landes, den die Wehrmacht am 15. März 1939 auch noch besetzt.

Der Auschwitz-Überlebende Max Mannheimer kämpfte unablässig für Menschenrechte und Demokratie. (Foto: Toni Heigl)

Die Familie wird am 27. Januar 1943 über das Ghetto Theresienstadt in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Max Mannheimers Frau Eva, seine Eltern und Schwiegereltern sowie seine Schwester sieht er an der Todesrampe zum letzten Mal. Nur er und sein Bruder Edgar überleben und werden im September 1943 nach Warschau verschleppt, im August 1944 nach Dachau. In den Außenlagern Allach und Mühldorf müssen sie Schwerstarbeit leisten. Am 30. April 1945 befreien amerikanische Soldaten Max Mannheimer am Starnberger See. Er kehrt zurück nach Neutitschein, doch folgt er dann seiner zweiten Frau Elfriede, einer deutschen Widerstandskämpferin, ins Land der Täter. Als sie 1964 stirbt, und er überzeugt ist, selbst tödlich erkrankt zu sein, schreibt er seine Lebensgeschichte auf - für die gemeinsame Tochter Eva. Später veröffentlicht er die weltweit übersetzten Bücher "Spätes Tagebuch", das sogar ins Japanische übertragen wurde, und "Max Mannheimer. Drei Leben".

1965 heiratete er die Amerikanerin Grace Franzen. Ein Jahr später wird ihr Sohn Ernst in München geboren. Seit den 1980er Jahren besucht Max Mannheimer Schulen, erzählt abertausenden von Schülern seine Geschichte und klärt sie über den Holocaust und den Nationalsozialismus auf. Anfangs kann er nur unter Beruhigungsmitteln zu den Jugendlichen sprechen. Er ist ein großer Erzähler, in wenigen Minuten nimmt er die Schüler für sich ein. Wie ihm das gelang? "Weil ich sie ernst nehme", sagte er einmal.

Max Mannheimer, Mitglied der SPD, engagiert sich politisch - und auch im Umgang mit Politikern kommen ihm sein Charme, seine Gewitztheit und Schlagfertigkeit zugute. Er treibt die Errichtung des Jugendgästehauses in Dachau voran, das von der Stadtgesellschaft und einer breiten Allianz der Kommunalpolitik abgelehnt wird. Ein anderes Beispiel: Nach einer einstündigen Unterredung mit dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) ist der Weg endlich frei für eine Gedenkstätte im ehemaligen Außenlager Mühldorf.

Max Mannheimer hat wesentlich an der Renaissance des jüdischen Lebens in Deutschland mitgewirkt. Er arbeitete beim Zentralkomitee der befreiten Juden und später beim Wohlfahrtsverband American Jewish Joint Distribution Committee in München, später auch in Frankfurt. Eine Begebenheit in "Drei Leben" zeigt auch diese Seite des Mannes: sein großes Herz und seine Güte. Im DP-Lager Föhrenwald holt er einen ungarischen Juden, der sich aus Angst vor den Deutschen nicht mehr aus dem Bett traut, ins Leben zurück. Er besucht ihn und andere einmal in der Woche und spricht mit ihnen. "Es fiel mir schwer, diesen armen, hoffnungslosen Menschen zu begegnen, doch hielt ich es für meine Pflicht, ihnen beizustehen. Sie vertrauten mir, weil ich ein ähnliches Schicksal hatte wie sie selbst."

Von 1988 bis zu seinem Tod wirkt Max Mannheimer als Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau, später auch CID-Vizepräsident. Er ist Herz und Kopf der Gedenkstätte und der Erinnerungsarbeit in Dachau und Bayern - und er wirkt am "Vermächtnis" der deutschen ehemaligen KZ-Häftlinge mit, einem der zentralen Dokumente der Erinnerungspolitik. Darin heißt es: "Wir bitten die jungen Menschen, unseren Kampf gegen die Nazi-Ideologie und für eine gerechte, friedliche und tolerante Welt fortzuführen, eine Welt, in der Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus keinen Platz haben sollen." In den letzten Jahren seines Lebens plagen ihn Zweifel, ob dieses Ziel jemals erreicht werden wir. Es wäre ihm eine Qual gewesen, mit anzusehen müssen, wie der Judenhass in Deutschland wieder auflebt - jeder Vierte denkt laut einer aktuellen Umfrage antisemitisch. Deshalb vermissen ihn die Weggefährten auch, denn Max Mannheimer, hätte den Kampf aufgenommen. Er hat immer gesprochen für die vielen seines Volkes, denen die Deutschen das Leben und die Stimme genommen haben. Das war ihm eine heilige Pflicht.

Am Vorabend seines 100. Geburtstags wird am Mittwoch, 5. Februar, um 19 Uhr im Karmel Heilig Blut an Max Mannheimer erinnert. In verschiedenen Beiträgen sollen persönliche Begegnungen mit ihm lebendig werden. Anwesend wird die Familie seiner Tochter Eva Faessler sein. Max Mannheimers Enkelin Judith Faessler und ihre beiden Söhne werden zu Wort kommen. Umrahmt wird das Gedenken von einem Schüler-Quartett des Ignaz-Taschner-Gymnasiums Dachau. Der Abend ist verbunden mit der Eröffnung einer Ausstellung "In memoriam Max Mannheimer". In 20 Tafeln haben Schüler des Grafinger Gymnasiums (seit kurzem Max-Mannheimer-Gymnasium) die Biografie Max Mannheimers erstellt. Die Abiturientin Stefanie Thurnhuber hatte 2017 die Idee. Sein Nachfolger als Vizepräsident des Internationalen Dachau-Komitees, der Holocaust-Überlebende und Israeli Abba Naor, sagt: "Er bleibt ein Vorbild - für alle Menschen."

© SZ vom 31.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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