Matthäuspassion:In der Ruhe liegt die Kraft

Das Vokal Ensemble München schafft ein intensives Hörerlebnis

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Die Fastenzeit ist die Zeit des Verzichts, der Besinnung aufs Wesentliche. Das Vokal Ensemble München hat bei seinem Passionskonzert am Sonntagabend in der Kirche Sankt Johann Baptist in Bergkirchen auf alle Instrumente verzichtet und sich auf das Wesentliche konzentriert: auf die Kraft und die Macht der Stimmen. Auf dem Programm standen Motetten aus dem 16. Jahrhundert, die Matthäus-Passion von Bartholomäus Gesius (1555-1613) sowie drei Stücke des irischen Komponisten Charles Villiers Stanford (1852-1924) Zwei Vertonungen des Kirchenlieds "Im Garten leidet Christus Not", eine von Johannes Eccard (1553-1611), die andere von Joachim a Burgk, (1546-1610) bildeten die musikalische Klammer dieses Konzerts. Das Vokal Ensemble sowie sein Dirigent und Alte-Musik-Experte Viktor Töpelmann sind fast schon Garanten für eine Programmgestaltung jenseits des Mainstreams. Das zeigte auch dieser Abend mit seiner exquisiten Auswahl geistlicher Werke, die sich der Leidensgeschichte Christi widmen. Gesius' Matthäuspassion (Historia Passionis Domini nostri Jesu Christi ex Evangelista Mattheo) hat so gar nichts mit den opernaffinen Passionen der Barockzeit gemein. Sie erzählt vielmehr in mehrstimmigen Motetten auf der Grundlage einer stark verkürzten Version des Matthäusevangeliums die Leidensgeschichte Jesu - und bezieht die drei weiteren Evangelien mit ein. Im Entstehungsjahr 1613 war die motettische Vertonung schon "altertümlich", wie es im Programmheft heißt. Für heutige Ohren ist diese Matthäuspassion jedoch ein ungewohntes, aber umso schöneres Hörerlebnis. Denn sie verzichtet auf jede Effekthascherei und auf solistische Kapriolen. So kommt diese Musik bei aller Dramatik des Geschehens fast meditativ daher, bringt Ruhe ins wochenendgestresste Gemüt.

Ruhe ist ein Kriterium, das die Ausstrahlungskraft des Vokal Ensembles mitbestimmt. Dirigent Töpelmann lässt seinen Sängerinnen und Sängern Zeit, sich jedem einzelnen Stück zu nähern, es zu erforschen, in sein innerstes Wesen vorzudringen und mit ihm zu verschmelzen. Das strahlt aus, macht die Sänger empathisch-gelassen, ernsthaft und doch voller Freude jeden Ton auskostend. Da ist die Passion kein ferner Bibeltext mehr, sondern eine sehr nahbare Geschichte vom Leiden und Sterben eines Mannes, dessen Leben verweht wie ein Blatt im Wind. Das ist ergreifend und weckt Assoziationen von Menschen im Krieg und auf der Flucht - Menschen, die uns täglich in den Medien und auf der Straße begegnen.

Einen Einblick in die mystische Seite des Glaubens gewährt das Vokal Ensemble mit Jakobus Clemens non Papas (1510-1556) kurzem Stück "Crux fidelis inter omnes - Treues Kreuz". Es überhöht das Folterinstrument Kreuz als "einzig edlen unter allen Bäumen" - und schlägt einen Bogen vom Tod zur Erlösung. Vom gleichen Komponisten stammt das wunderbare "Ego flos campi - Ich bin die Blume auf dem Felde" nach einer Textpassage aus dem Hohelied Salomons. Die Sängerinnen verströmen mit ihren fein modulierenden Stimmen puren Wohlklang, der mit "When Mary through the garden went" seine romantische Fortsetzung findet. Komponist Stanford hat hier ein Gedicht von Mary Coleridge vertont. Der heute etwas ins Abseits geratene Stanford gilt als Erneuerer englischer Musik und gab der irischen Volksmusik einen herausragenden Platz in seinen Kompositionen. Diesen Komponisten ins Programm aufzunehmen, war eine gute Entscheidung - zeigt er doch, wie sich die Grundidee der Motette in der geistlichen Musik über die Jahrhunderte erhalten hat - und wie sie in ihrer Schlichtheit Wort und Töne in Einklang bringen kann. Dabei spielt es keine Rolle, welcher Sprache sie sich bedient oder wann und wo sie entstanden ist. Das hat das Vokal Ensemble München mit seinem Passionskonzert eindrucksvoll demonstriert. Und es hat gezeigt, wie ein Chor - trotz grippebedingtem Ausfall einiger Sänger - sein hohes Niveau mühelos halten kann. Diese Leistung und dieses Engagement hätten ein volles Haus verdient. Doch warum auch immer: Viel zu wenige Zuhörer hatten am Sonntag den Weg in das barocke Bergkirchener Gotteshaus gefunden. Die aber sagten am Ende des Konzerts übereinstimmend: wunderbar!

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