Mag das katholische Bayern inzwischen auch schon ein recht säkularer Flecken Erde sein, auf dem Land sieht man sie heute noch überall, die Marterl: An Wegen und Kreuzungen gemahnen sie den Vorbeigehenden innezuhalten und sein Sinnen von den profanen Dingen des Alltags auf einen Heiligen zu lenken, nicht selten auf den Herrn Jesus Christus höchstselbst. Auch im Dachauer Stadtgebiet sind seit einigen Wochen Marterl zu sehen, die die Künstlerin Margot Krottenthaler für die KVD-Jubiläumsausstellung "Raus" an sechs Standorten im Stadtgebiet errichtet hat. Auch sie sind Schreine der Verehrung, wenn auch eher der künstlerischen Art. Margot Krottenthaler huldigt darin ihren ganz persönlichen "Hausheiligen" und reflektiert, wie Künstler wie Picasso, Louise Bourgeois, Joseph Beuys oder auch Frida Kahlo ihr eigenes kreatives Schaffen inspiriert und geprägt haben. Diese ganz individuell subjektive Note kommt auch in der Bezeichnung dieser originellen Werkstücke zum Ausdruck: "My ARTerl".
Wie die Kirchenheiligen sind auch die dargestellten Künstler allesamt bereits tot. Wobei Margot Krottenthaler nicht behaupten will, ein Hallodri wie Picasso wäre ein Heiliger gewesen. Aber alle haben etwas in Leben und Werk, das sich Margot Krottenthaler zum Vorbild nimmt: "Sie haben Ausdauer bewiesen, sich gegen gesellschaftliche Widerstände durchgesetzt - und vor allem haben Sie eine Haltung zur Welt." Da erstaunt es nicht, dass der politische Aktionskünstler Christoph Schlingensief ebenso zu Ehren kommt wie Joseph Beuys, zu dessen bekanntesten und bis heute verstörendsten Werken das pathologische Environment "Zeige deine Wunde" gehört.
Am Dachauer Wasserturm hängt ein Marterl, das Margot Krottenthalers Bauch vor einer OP zeigt, die graue Rasterung nimmt die Optik von Schiefer ein, einem Material, mit dem Beuys gerne gearbeitet hat, auch Gold hat Beuys vielfach verwendet als Sinnbild der Transformation. Die Künstlerin knüpft daran an, indem sie das Bild in einen dicken goldenen Rahmen setzt. Auch der Ort des Marterls, ein Baum, ist mit Bedacht gewählt. Beuys war ein Pionier der Grünenbewegung. Dass der Baumstamm einige krankhafte Wucherungen aufweist, rundet die Arbeit auf eine fast unheimliche Weise ab.
In ihren Marterln rückt Margot Krottenthaler aber auch und vor allem die Frauen in den Blick: Frida Kahlo, die sich allen Widrigkeiten ihres wahrlich nicht einfachen Lebens zu einer viel beachteten Künstlerin hochgearbeitet hat oder die für Krottenthaler wichtigste ihrer Säulenheiligen: Louise Bourgeois. "Sie war eine wütende Künstlerin." Ein legendäres Foto von Robert Mapplethorpe zeigt die Bildhauerin in einem Affenfellmantel mit einem Latexpenis unterm Arm. Mit einem zornroten Kunstfell ist das Bild von Louise Bourgeoise in Krottenthalers Marterl umrahmt. Es steht vor dem Eingang der KVD-Galerie.
Sehenswert ist auch das Marterl am Pfarrplatz mit neun weitgehend vergessenen oder zumindest zu wenig beachteten Heroinnen der Kunstgeschichte, darunter die Starporträtmalerin der Renaissance, Sofonisba Anguissola, und die mittelalterliche Äbtissin Herrad von Landsberg. Ihr hat die Welt nicht nur eine Enzyklopädie zu verdanken, sondern auch das vermutlich erste Selbstporträt der Kunstgeschichte. Von echter Gleichberechtigung ist man in der Welt der Kunst immer noch weit entfernt. "Wenn man heute in die Museen und öffentlichen Sammlungen schaut, sind die Frauen dort deutlich unterrepräsentiert", sagt Margot Krottenthaler. Die Köpfe ihrer Künstlerinnen wackeln übrigens solarbetrieben in Reih und Glied auf albernen Plastikkörpern mit kurzen Kleidchen. Das sieht sehr lustig aus, ist aber näher betrachtet, doch sehr traurig.