Süddeutsche Zeitung

Markt Indersdorf:Wirbel um Ganztagsschule

Der BLLV-Kreisvorsitzende Kroschewski bezieht Position gegen seinen Verband und stößt bei seinem Vorgänger auf harsche Kritik.

Robert Stocker

Markt Indersdorf - Die ablehnende Haltung des Rektorats zur Einführung eines Ganztageszugs an der Grundschule Markt Indersdorf sorgt für Diskussionen. In der Sitzung des Schulverbands am Montagabend hatte SPD-Gemeinderat Hubert Böck den Antrag gestellt, an der Grundschule einen gebundenen Ganztageszug einzuführen. Bürgermeister Josef Kreitmeir (FW) verlas dazu eine Stellungnahme von Schulleiter Wolfgang Kroschewski, in der sich dieser grundsätzlich skeptisch gegenüber Ganztageszügen an Grundschulen äußert. Die Ablehnung stößt beim SPD-Landtagsabgeordneten Martin Güll, dem früheren Rektor der örtlichen Hauptschule, auf scharfe Kritik.

Kroschewski führte in seiner Stellungnahme eine Reihe von Gründen an, die aus seiner Sicht gegen Ganztageszüge an Grundschulen sprechen. Wichtigstes Argument: Durch den langen Aufenthalt in der Schule würden die Kinder überschult, das erweiterte Bildungsangebot könne zu einer Überforderung führen. Eine weitere Folge davon könnten Aggressionen und Schulverdrossenheit sein. Die eigenverantwortlichen Tätigkeiten würden eingeschränkt, die Schüler unterlägen einer "ständigen Fremdbestimmung". Auch die selbständige Erledigung von Hausaufgaben und das Lernen litten darunter. "Gerade für Erst- und Zweitklässler ist das völlig fehl am Platz", sagte Kroschewski auf Nachfrage der SZ. "Wenn die um 15 Uhr noch einmal mit Denkaufgaben konfrontiert werden, sind viele von der Physis her überfordert." In der benachbarten Hauptschule laufe die Ganztagesschule dagegen "fantastisch", weil dort die Schüler älter und robuster seien. Aus Kroschewskis Sicht spricht auch die Überbelastung der Lehrer gegen einen Ganztageszug an der Grundschule. Die Mehrheit der Lehrkräfte könne sich dann nicht mehr so gründlich auf den Unterricht vorbereiten. Das sei seine ganz persönliche Ansicht, mit dem Kollegium habe er darüber noch nicht gesprochen.

Kroschewski, der auch Kreisvorsitzender des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (BLLV) ist, steht mit seiner Haltung im Widerspruch zu seiner Organisation. Der BLLV unterstützt grundsätzlich die Schaffung von Ganztageszügen, die ein spezifisches pädagogisches Profil und hohe Qualitätsstandards aufweisen sollen. Der Verband fordert insbesondere einen rhythmisierten Unterricht, in dem sich Frei- und Lernzeiten abwechseln. Ganztagesunterricht an Grundschulen hält der BLLV sogar für pädagogisch wertvoller als an Hauptschulen. Auch das Kultusministerium treibt den Ausbau von Ganztagesklassen an allen Schularten voran.

Der Markt Indersdorfer SPD-Landtagsabgeordnete und Bildungsexperte Martin Güll hat die Haltung Kroschewskis unterdessen scharf kritisiert. Die Ablehnung des Ganztageszugs an der Grundschule Indersdorf habe bei ihm "blankes Entsetzen" hervorgerufen. "Offensichtlich gibt es an der Grundschule noch keine alleinerziehenden Mütter, keine sozialen Probleme, Aggression und Gewalt", schreibt Güll. Er fordert, dass sich auch die Grundschule Indersdorf den geänderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen stelle. Forschungen zufolge wirkten sich Ganztagsklassen positiv auf das Sozialverhalten und das Familienklima der Schüler aus. "Es gibt auch Bildungsforscher, die dagegen sind", kontert Grundschulrektor Kroschewski. Die Gemeinde will jetzt bei den Eltern den Bedarf eruieren. Kroschewski: "Wenn er hoch ist, wird die Ganztagsschule kommen."

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SZ vom 18.02.2011
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