Markt Indersdorf / New York:Berührende Momente

Die Ausstellung über das ehemalige Kinderzentrum in Indersdorf war bei den Vereinten Nationen in New York zu sehen. Mitglieder einer Dachauer Delegation blicken auf eine bewegende Reise zurück.

Von Robert Stocker, Markt Indersdorf / New York

Unvergesslich, berührend, aber auch lehrreich: So beschreiben die Teilnehmer ihre Eindrücke, die sie von ihrer Reise nach New York mitgebracht haben. Eine 20-köpfige Delegation aus dem Landkreis war bei der Eröffnung der Ausstellung "Life after Survival" im Hauptquartier der Vereinten Nationen dabei. Sie sprachen mit vielen Überlebenden des Holocaust, die auf Fotos der Ausstellung über das einstige Kinderzentrum im Kloster Indersdorf zu sehen sind. "Es war ein besonderer Moment, an dem wir teilhaben durften", sagt etwa Michaela Kurrer, Geschichtslehrerin an der Indersdorfer Realschule Vinzenz von Paul. Aus ihren Erlebnissen zieht sie den Schluss, "dass der Unterricht mit Zeitzeugen unverzichtbar ist". Einige Teilnehmer um die Initiatorin und Projektleiterin Anna Andlauer zogen jetzt eine Bilanz der Reise.

Andlauer erforschte die Geschichte des Kinderzentrums im Kloster und spürte viele einstige Bewohner auf. Mitarbeiter der Vereinten Nationen betreuten in der Einrichtung vorwiegend jüdische Kinder, deren Angehörige von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Die Helfer um die Sozialpädagogin Greta Fischer versorgten sie mit Lebensmitteln und Kleidung, richteten sie auf und gaben ihnen neuen Lebensmut. Viele ihrer einstigen Schützlinge leben heute in der Gegend von New York und in Israel. Sie kamen mit Angehörigen ins Hauptquartier der Vereinten Nationen, um sich an ihre "rettende Insel" in Indersdorf zu erinnern. Die Schau war von 7. Januar bis 10. Februar in der Besucherlobby des UN-Hauptquartiers in New York zu sehen. Der Eröffnung wohnten auch Cristina Gallach, stellvertretende Generalsekretärin der Vereinten Nationen, und Felix Klein, Botschafter der Ständigen Vertretung Deutschlands, bei. Diese ermöglichte es, die Ausstellung bei den Vereinten Nationen zu zeigen. Auf ihrer Website sind Eindrücke von der Eröffnung zu sehen.

Parallele zu den Flüchtlingen heute

"Diese Bilder zeigen, wie die UN-Helfer sich intensiv um Sie kümmerten und halfen, mit Ihren schlimmen Erfahrungen fertig zu werden und weiter zu leben", sagte Anna Andlauer zu den Überlebenden bei der Ausstellungseröffnung. Der Holocaust habe sie nie losgelassen, aber nach ihrer Befreiung sei die persönliche Zuwendung der wichtigste Faktor gewesen, dass sie wieder Vertrauen in die Welt gefasst hätten. Das UNRRA-Team sei ein gutes Beispiel dafür, wie traumatisierte Kinder Fürsorge und Schutz erhalten können. Andlauer zog eine Parallele zu den aktuellen Flüchtlingen. "Sie finden nur ihren Weg in ein neues Leben, wenn sich Menschen um sie kümmern."

Neben Andlauer nahmen an der Ausstellungseröffnung im UN-Hauptquartier unter anderem Landrat Stefan Löwl, der Landtagsabgeordnete Karl Freller (CSU), Direktor der Stiftung Bayerische KZ-Gedenkstätten, und Indersdorfs Bürgermeister Franz Obesser teil. Sie sprechen von unvergesslichen Erfahrungen, die sie in New York gemacht haben. Die Begegnung mit Überlebenden wie Shmuel Reinstein, der auf dem Todesmarsch von den Amerikanern befreit wurde und in Indersdorf zurück ins Leben fand, hat sie besonders beeindruckt. "Der Besuch hat uns viele berührende Gespräche mit Überlebenden und ihren Kindern und Enkeln ermöglicht, deren Geschichten sonst für Indersdorf verloren gegangen wären", berichtet der Indersdorfer Realschulrektor Anton Wagatha, der ebenfalls zur Dachauer Delegation gehörte. "Die Ausstellung ,Life After Survival' und die Holocaust Memorial Ceremony waren ergreifende Veranstaltungen", sagt der junge Percussionist Sebastian Schmidt aus Pfaffenhofen. Er führte mit Sänger Mario Deger aus Goppertshofen und Jürgen Rothaug am Klavier das Lied "The Rage to Live" bei der Eröffnung auf.

"Hass ist ein Mangel an Fantasie"

Einen bewegenden Eindruck machte die Ausstellung auch auf den Theaterregisseur Gregorij von Leitis, der abwechselnd in New York und München lebt - und Dachau gut kennt. "Anna Andlauer hat mit dieser Ausstellung und dem begleitenden Kurzfilm ein Kapitel der jüngsten deutschen Geschichte aufgeschlagen, das in dieser Form bislang kaum bearbeitet wurde: Wie ging es für diese jüngsten Holocaust-Opfer weiter, nachdem sie die Hölle überlebt hatten? Wie sahen die ersten tastenden Schritte nach dem Überleben zurück ins Leben aus?" Auch von Leitis schlägt einen Bogen zum heutigen Flüchtlingselend: Die Zeitzeugendokumente zeigten zugleich, wie wichtig es gerade heute ist, den Tausenden und Abertausenden von minderjährigen Flüchtlingen beizustehen, um ihnen über die erlebten Traumata hinwegzuhelfen und ihnen Mut und Hoffnung für die Zukunft zu geben.

Gregorij von Leitis, Intendant des "Elysium - between two continents", organisiert zusammen mit dem Elysium-Programmdirektor Michael Lahr die Veranstaltungsreihe "Hass ist ein Mangel an Fantasie" zur Erinnerung an die in Auschwitz ermordeten Künstler aus Theresienstadt. Mit ihrer literarischen Collage treten die beiden in den USA und vielen Ländern Europas auf. "Auch heute wird wieder gehasst, viele haben ihre eigene Projektion: Juden, Moslems, Russen, Griechen oder andere Gruppen und Völker. Auch Krieg ist wieder denkbar in Europa. Diesem Hass, dieser Bedrohung wollen wir, wie von Leitis sagt, die tiefe Menschlichkeit der Texte der Holocaust-Opfer entgegensetzen. Wie das auch Andlauers Ausstellung macht.

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