Süddeutsche Zeitung

Markt Indersdorf:Geschichten, die das Leben schreibt

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Was das Besondere und das Spannende daran ist, wenn Laien die Historie ihrer Gemeinde erforschen

Von Wolfgang Eitler, Markt Indersdorf

Zwei Bände der Nachkriegsgeschichte von Stadt und Landkreis gibt es schon. Der eine befasst sich mit der sogenannten Stunde Null. Der zweite erörtert die ersten Jahre der Nachkriegszeit. Der dritte über die 50er Jahre, den Beginn des wirtschaftlichen Erfolgs in Deutschland mit all den Folgen bis hinein in die Familien, ist zwar geplant. Aber die finanziellen Mittel der Dachauer Geschichtswerkstatt sind zurzeit noch sehr begrenzt. Trotzdem versprach der Amperland-Herausgeber und Historiker Wilhelm Liebhart aus Altomünster am Dienstagabend im Vortragssaal des Indersdorfer Chorherrenmuseums voller Zuversicht: "Das Geld bekommen wir hin." Es wäre tatsächlich sehr bedauerlich, wenn die dritte Phase der Dachauer Geschichtswerkstatt im Jahr 2017 ohne ein solches Dokument beendet werden würde.

Denn das Besondere an dieser Arbeit ist die Forschung selbst: Laien erkunden die Geschichte ihrer Gemeinde oder Ortschaft. Laien führen Interviews mit Menschen, die sich an die Epoche der 50er Jahre in Stadt und Landkreis erinnern. Und es sind Laien, die womöglich andere Fragen stellen, als sie ausgebildeten Experten einfallen. Die Tradition der mündlichen Überlieferung lebt in dieser Geschichtswerkstatt neu auf - in der Form des erzählten Lebens, in der Form der Geschichten aus der Nähe zu den Menschen, die erst dadurch zu Zeitzeugen werden. Der Vorteil liegt in dem spezifischen Einfühlungsvermögen, das aus der Kenntnis des eigenen Orts und der eigenen Umgebung resultiert. Deswegen ist diese Forschungsarbeit so spannend. Teilnehmer der bisherigen Geschichtswerkstätten berichteten auf den vergangenen Veranstaltungen von ihrer Faszination.

Biografische Details widerlegen historische Verallgemeinerungen

Diese Grundstimmung hat sich anscheinend im ganzen Landkreis verbreitet. Denn zum Auftakt am Dienstagabend in Indersdorf waren sehr viel mehr Interessenten gekommen, als Projektleiterin Annegret Braun, Ethnologin aus Sulzemoos, oder Annerose Stanglmayr, Geschäftsführerin des Dachauer Forums, erwartet hatten. An die 80 Zuhörer versammelten sich in dem Raum, um in das Thema der dritten Geschichtswerkstatt eingeführt zu werden. Daran schließen sich mehrere Vorträge an, in denen die künftigen Forscher einen Überblick über deutsche Nachkriegsgeschichte erhalten und auch lernen, wie ein Zeitzeugeninterview richtig geführt wird. Dann beginnt die Arbeit. In den Gemeinden bilden sich Teams, welche die vorgegebenen Themen sondieren und gewichten. In dem einen Fall mag die wirtschaftliche Entwicklung besonders interessant zu sein. Im anderen Fall wird vielleicht die Landwirtschaft der Brennpunkt.

Projektleiterin Annegret Braun skizzierte in ihrem Vortrag die Geschichte der Geschichtswerkstatt und erklärte die Bedeutung der Laienforschung. Denn oftmals werden historische Verallgemeinerungen durch genaue biografische Details widerlegt. Braun animierte die Zuhörer, sich an der Werkstatt zu beteiligen und zum Forscher ausbilden zu lassen, indem sie die Erfolge der vergangenen acht Jahre darlegte. Statt drei geplanter Ausstellungen präsentierte die Geschichtswerkstatt in fast jeder Kommune des Landkreises ihre Ergebnisse. Dazu erschien neben dem zweiten Band zur Nachkriegsgeschichte noch eine Broschüre. Die Finanzierung sichern Stadt, Landkreis und Sparkassenstiftung gemeinsam mit 65 000 Euro. Der Auftakt in Indersdorf war erfolgreich: 25 Zuhörer haben sich angemeldet. Weitere Informationen beim Träger, dem Dachauer Forum, 08131/99 68 80.

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Quelle:
SZ vom 18.02.2016
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