Süddeutsche Zeitung

Zeitgeschichte:Die geretteten Kinder von Indersdorf

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Warum die Ausstellung über die jungen Holocaust-Überlebenden bald in New York zu sehen ist.

Von Benjamin Emonts, Markt Indersdorf

"UNRRA Prison" steht in großen Buchstaben auf dem Protestplakat, das Roman Kent im Jahr 1945 geschrieben hat. Kent, damals 16 Jahre alt, bekundete mit dem Bild in jugendlichem Übereifer seine Wut über einen Tag Hausarrest, den die UNRRA-Betreuer über ihn und die anderen jungen Flüchtlinge verhängt hatten. Die UNRRA, ausgesprochen United Nations Relief and Rehabilitation Association, kümmerte sich unmittelbar nach dem Krieg um Hunderte Kinder und Jugendliche, die im Holocaust ihre Eltern verloren hatten. Sie bekamen im Kloster Markt Indersdorf eine neue Heimat.

Heute lacht und schmunzelt Roman Kent, Präsident des internationalen Auschwitz Komitees, über seine freche Vorgehensweise, wie die Zeitgeschichtsforscherin Anna Andlauer aus Weichs berichtet. "Die Strafe war bestimmt zu unserem Besten", soll Kent ihr gesagt haben. In der Retrospektive hat der 86-Jährige wohl realisiert, dass die Unterbringung im Kloster Indersdorf ein Glücksfall für die jungen Flüchtlinge war. Denn es war auch Kent, der Andlauer den Rat erteilte, sich mit ihrer Ausstellung "Life after Survival", die sich mit dem Kinderheim im Kloster Markt Indersdorf beschäftigt, an die United Nations (UN) in New York zu wenden. Es bedurfte noch einiger Mühen und einer warmen Empfehlung des in New York ansässigen Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland. Dann entschied die UN, die Ausstellung anlässlich des Gedenktages an die Opfer des Holocausts am 27. Januar tatsächlich nach New York in ihr Hauptquartier zu holen. In dessen Besucherlobby wird sie vom 7. Januar bis 10. Februar zu sehen sein.

Landrat und Bürgermeister werden bei der Eröffnung dabei sein

Anna Andlauer, Landrat Stefan Löwl, der Indersdorfer Bürgermeister Franz Obesser, der Leiter der Bayerischen Gedenkstättenstiftung Karl Freller und zahlreiche Unterstützer des Projekts werden der offiziellen Ausstellungseröffnung am 26. Januar beiwohnen. Auf insgesamt 15 Stellwänden erzählen historische Fotos und Texte, wie die UNRRA-Betreuer zwischen 1945 und 1948 bis zu 1000 Kindern in Markt Indersdorf halfen, ihre traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten, eine Schulbildung zu bekommen und ihre Familienangehörigen wiederzufinden.

Begleitet wird die Ausstellung mit einem 13 Minuten langen Film, der O-Töne der jüdischen Sozialarbeiterin Greta Fischer enthält. Fischer, nach der eine Schule in Dachau benannt ist, hatte bei den jungen Flüchtlingen rasch besondere Autorität gewonnen, indem sie ihnen starke Zuneigung und großes Verständnis entgegenbrachte. Sie kann als Vorbild für tausende ehrenamtliche Helfer dienen, die sich in der heutigen Zeit Flüchtlingen annehmen.

Parallelen zu heute

Für Anna Andlauer ist der aktuelle Bezug der Ausstellung eindeutig: "So, wie sich die UNRRA-Helfer um die Kinder und Jugendlichen gesorgt haben, kümmern sich heute Sozialarbeiter und ehrenamtliche Helfer um unbegleitete Flüchtlinge. Auch wenn dies eine historisch andere Situation war, sind die Bedürfnisse und Schwierigkeiten der jungen Flüchtlinge heute ähnlich." Für den Heimatverein Indersdorf und die Lagergemeinschaft Dachau - die Urheber der Ausstellung - ist der Gastauftritt bei der UN ein großer Erfolg. Auf der großen Bühne bekommt die Geschichte der Flüchtlinge und ihrer Helfer internationale Beachtung.

Schüler der Realschule Indersdorf stiegen unter der Leitung des Schuldirektors und Heimatverein-Vorsitzenden Anton Wagatha - ebenso wie Anna Andlauer - erst Anfang der Neunzigerjahre in die Erforschung des Themas ein. Sie konnten seither mehr als 80 Überlebende ausfindig machen. Landrat Löwl sagte auf einer Pressekonferenz im Indersdorfer Augustiner Chorherren Museum, er sei stolz, dass es die lange unbekannte Geschichte nun bis zu den Vereinten Nationen geschafft habe. Schließlich zeige die Geschichte, dass unweit der "Hölle des Dachauer Konzentrationslagers" schon kurz nach dem Krieg neues Leben und Nächstenliebe keimten.

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Quelle:
SZ vom 10.12.2015
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