Markt Indersdorf:Als die Bilder laufen lernten

Das Papiertheater war das Fernsehen der Biedermeierzeit. Barbara und Rasso Kaut haben diese alte Kunstform wiederbelebt und erzählen gemeinsam mit ihrem Team die Geschichte des Kalifen von Bagdad in Markt Indersdorf.

Von Robert Stocker

Markt Indersdorf: Barbara Kaut bewegt Papierfiguren, die wie in einem Tableau aneinandergereiht sind.

Barbara Kaut bewegt Papierfiguren, die wie in einem Tableau aneinandergereiht sind.

(Foto: DAH)

Noch macht der Kalif von Bagdad keinen Mucks. Backstage hängt er regungslos im Regal, so wie sein Wesir Mansor oder Kaschnur, der Händler. Auch die prächtigen Miniatur-Kulissen, die aus Sperrholz, Pappe und Papier bestehen, liegen sauber aufgereiht hinter der Bühne. Wenn Kalif Chasid aber so richtig in Fahrt kommt, kann er sogar ein Tänzchen machen und sich um die eigene Achse drehen. Der Herrscher aus 1000 und einer Nacht ist nämlich auf Pappe aufgeklebt und hängt an einer filigranen Mechanik. Sie haucht dem mächtigen Mann Leben ein, wenn der Figurenschieber am Ende des Gestänges am Knöpfchen dreht. Dann fängt der Kalif zu tanzen an. Natürlich mit einer hübschen Prinzessin, die ihn schließlich glücklich macht.

Kalif Chasid heißt im richtigen Leben Rasso Kaut. Der Mediziner im Ruhestand, dessen Vater Chefarzt am Indersdorfer Krankenhaus war, spielt im "Kalif von Bagdad" die Titelrolle. Er hat den mächtigen Herrscher buchstäblich in der Hand und bewegt ihn als Figurenschieber über die Bühne. Zusammen mit seiner Frau Barbara, die Regie führt und für das Bühnenbild zuständig ist, hat er eine alte Kunstform wiederentdeckt: das historische Papiertheater, das derzeit eine Renaissance erlebt. Die Wurzeln des Papiertheaters liegen vor allem in Skandinavien und England. In Deutschland hat sich diese Kunstform vor allem im Norden erhalten. Seine Blütezeit hatte das Papiertheater im Biedermeier. Die Bürger waren damals bildungshungrig und kulturbeflissen. Sie musizierten in den eigenen vier Wänden und begeisterten sich für Theater und Oper. "Das Papiertheater war das Fernsehen der Biedermeierzeit", bringt es Rasso Kaut auf den Punkt. Unterhaltung durch kleines Theater im großen Salon. "Es war damals sehr präsent, sogar Opern wurden aufgeführt", blickt Barbara Kaut zurück.

Die Anfänge des Papiertheaters Theatrum Augustinum Indersdorf gehen auf eine Erbschaft zurück. Ihr Großvater vermachte Barbara Kaut eine Kiste, in der er alte Originalfiguren, Originalkulissen und Textbücher für ein Papiertheater aufbewahrte. Lange Zeit schlummerte der Schatz ungenutzt in der Kiste weiter. "Ich wollte das Papiertheater immer schon wiederbeleben", sagt die leidenschaftliche Liebhaberin der Kleinkunstbühne. Als ihr Mann schließlich im Ruhestand war, konnte sie auch ihn dafür begeistern. Rasso Kaut geht mittlerweile in seinem Hobby auf. "Die Herausforderung besteht darin, Text und Musik der Originalstücke für die Bedürfnisse des Papiertheaters zu verkürzen, ohne dass sie völlig verfremdet werden. Die Seele der Musik muss erhalten bleiben", erklärt der ehemalige Mediziner. Das sei besonders bei Opern wichtig. Da können die Kauts aus Erfahrung sprechen. Mozarts "Zauberflöte" und den "Freischütz" haben sie bereits aufgeführt, bevor sie den "Kalif von Bagdad" inszenierten. Etwa ein Jahr ist das Ensemble damit beschäftigt, ein Stück von der Idee bis zur Bühnenreife zu bringen. Für die Texte ist in erster Linie Barbara Kaut zuständig, ihr Mann hilft bei den Arrangements. Barbara Kaut führt auch Regie und zeichnet für das Bühnenbild verantwortlich.

Zwar ist das Ehepaar die tragende Säule des Papiertheaters, doch zum Ensemble gehören insgesamt acht Mitglieder. Gerhard Einhäuser, früher Chefarzt am Indersdorfer Krankenhaus, spielt im "Kalif von Bagdad" den Händler Kaschnur und hat die Tontechnik hinter der Bühne im Griff. Klaus Hochgesand spricht den Wesir Mansor, Wibke von Beust ist die Erzählerin, die zwischen den Szenen verbindende und erläuternde Worte spricht. Christl Haschner und ihre Schwägerin Karin Haschner-Beßler spielen adelige Damen und Touristen. Auch sie haben tragende Sprecherrollen und schieben ihre Figuren über die Bühne. Hans Haschner schließlich spielt Mizra, den Sohn von Kaschnur.

Der Indersdorfer Schreiner im Ruhestand spielt noch in einer anderen Hinsicht eine wichtige Rolle: Er hat die Bühne des "Theatrum Augustinum" gebaut, die ein kompliziertes Innenleben hat und sich für den Transport zusammenklappen lässt. Außerdem entwickelte er die Beleuchtungstechnik. Dann gibt es noch die Helfer im Hintergrund. Erich Betz aus Weichs konstruierte für viele Figuren eine filigrane Mechanik, Hans-Jürgen Schulmayr baute die elektrischen Anlagen, und Otto Tischner sägte die Kulissen aus. "Alle Akteure sind eine Mischung aus Uhrmacher und Künstler", beschreibt Barbara Kaut die Mitwirkenden.

Eigentlich heißt "Der Kalif von Bagdad" "Kalif Storch", ein orientalisches Märchen von Wilhelm Hauff. Theodor Overbeck schrieb hundert Jahre später eine Fassung für das Papiertheater mit dem Titel "Der Kalif von Bagdad". Rasso Kaut nennt es ein Märchen für Erwachsene: "Es soll die Botschaft transportieren, dass man mit dem, was man hat, zufrieden sein kann und erkennt, was das wahre Glück ausmacht." Das Glück der Indersdorfer Theatermacher ist indessen schnell beschrieben: Sie wollen dem Publikum anspruchsvolle Unterhaltung bieten und verweisen stolz darauf, dass es in ganz Deutschland zwölf Papiertheaterbühnen gibt, von denen eines das "Theatrum Augustinum" ist. Allerdings sucht das Theater dringend einen festen Lagerraum. Und Nachfolger, welche die Bühne weiterführen. "Es wäre schön, wenn sich dafür junge Leute interessieren", hofft Rasso Kaut. Dann wäre er wirklich rundum glücklich.

Das Theatrum Augustinum Indersdorf führt den "Kalif von Bagdad" am Freitag, 17. und Samstag, 18. Januar im Indersdorfer Schneiderturm auf. Beginn 19 Uhr, von 18.30 Uhr an gibt es einen Sektempfang. Der Eintritt kostet acht Euro. Karten sind bei der Buchhandlung Beck & Boy erhältlich. Der Erlös geht an Heimatverein und Volkshochschule.

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