Mahnwache für Toleranz:Segenswünsche zum Abschied

Der US-Vizepräsident Mike Pence besucht die KZ-Gedenkstätte Dachau, spricht mit Holocaust-Überlebenden und nimmt am Gottesdienst in der Versöhnungskirche teil, bevor er von Pfarrer Mensing zur Limousine begleitet wird

Von Daniela Gorgs, Dachau

"Dachau steht wie kaum ein zweiter Ort in Deutschland für die Untaten eines rassistischen, homophoben, xenophoben und totalitaristischen Regimes. Was dort im Namen einer ,nationalen Bewegung' geschehen ist, ist Mahnung und Warnung zugleich", sagt Martin Modlinger aus Dachau. Als der 35-jährige Historiker aus den Medien vom Besuch des US-Vizepräsidenten Mike Pence in Dachau erfuhr, entschloss er sich kurzerhand zusammen mit seinem Bekannten Steffen Liedtke, 30, eine Mahnwache zu organisieren. Die beiden Dachauer wollen diesen Besuch nicht unkommentiert lassen. Mike Pence sei Vertreter einer Regierung, die sich allem Anschein nach gegen all das wendet, was eine moderne, tolerante Gesellschaft ausmache. Gegen die Rechte von Frauen und Minderheiten, Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit. Und Mitmenschlichkeit.

Stiller Protest

Modlinger, der das Josef-Effner-Gymnasium in Dachau besuchte, befasste sich in seiner Doktorarbeit mit dem Nationalsozialismus und seinen Auswirkungen. Auch Liedtke studierte Geschichte und war sofort mit dabei, als Modlinger vorschlug, eine Mahnwache zu organisieren. Um 8.30 Uhr stellten sich die beiden mit Plakaten und Kerzen auf den Weg zwischen Besucherparkplatz und Gedenkstätteneingang. Diesen Platz hatte ihnen die Polizeiinspektion Dachau zugeteilt. Es war ein stiller Protest. Zusammen mit 40 Mitstreitern hielten sie ihre Plakate hoch: "Better learn from history than from alternative facts" und "It starts with discrimination" lautete ihre Botschaft an den US-Vizepräsidenten.

Während Mike Pence mit seiner Frau Karen und Tochter Charlotte einen Rundgang durch die KZ-Gedenkstätte unternahm, harrten die Dachauer Bürger den Vormittag lang mit ihren Plakaten in der Kälte aus. Sie demonstrierten nach eigenen Worten nicht etwa gegen den Besuch des Vizepräsidenten, sondern gegen die aktuelle Entwicklung in den USA. Die neue US-Regierung repräsentiere nicht die Werte der Amerikaner, die dieses Lager am 29. April 1945 befreit haben, sagte der Dachauer.

Natürlich sah der US-Vizepräsident die kleine Gruppe mit ihren Plakaten nicht, als er mit seinem Autokonvoi eintraf und abgeschirmt von Secret Service und Dachauer Polizisten über das Besucherzentrum in die Gedenkstätte schritt. Die Demonstranten wollten ein Zeichen der Solidarität mit all jenen setzen, die von der neuen US-Regierung diskriminiert werden.

Mike Pence nimmt an Abendmahlsgottesdienst teil

Ein Zeichen setzte auch der evangelische Diakon Klaus Schultz, der im Sonntagsgottesdienst auf dem Gelände der Gedenkstätte in seinen Gebetstexten an Flüchtlinge erinnerte, an die Menschen in der Ukraine, die Angst vor Krieg haben und an alle, die von Verfolgung bedroht sind. Der US-Vizepräsident besuchte mit seiner Familie den Abendmahlsgottesdienst in der evangelischen Versöhnungskirche. Bewusst hatte Kirchenrat Björn Mensing im Gottesdienst an die Befreiung des Konzentrationslagers durch amerikanische Soldaten erinnert und die "Speisung der Fünftausend" aus dem Evangelium als Thema seiner Predigt ausgewählt. Mike Pence hörte aufmerksam zu, als Mensing appellierte, sich weltweit für Gerechtigkeit und Verteilung von Gütern einzusetzen. Pfarrer Mensing begleitete den Politiker zu seiner Limousine und sprach ihm "beste Segenswünsche" für sein Amt zu.

Pence besuchte zum Abschluss seiner Deutschlandreise die Gedenkstätte Dachau. Der Politiker kam privat, zusammen mit seiner Frau Karen und seiner ältesten Tochter Charlotte. Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann, Karl Freller, Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, und der Holocaust-Überlebende Abba Naor führten die Familie durch Museum, Baracken und zum Krematorium. "Ein bewegender und emotionaler Rundgang", schrieb Pence später auf Twitter. "Wir können die Gräueltaten gegen Juden und andere im Holocaust niemals vergessen." Um 16 Uhr folgte der Besuch des Gouverneurs von Ohio, John Richard Kasich - aber die Aufmerksamkeit war da schon abgeflaut.

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