Süddeutsche Zeitung

Live-Mitschnitt der Bigband Dachau:Ein Schatz auf 48 Tonspuren

Lesezeit: 3 min

Eigentlich wollte die Bigband Dachau den Mitschnitt ihres Konzerts mit Techno-Legende Jimi Tenor nur für Promo-Videos verwenden. Doch das Material ist musikalisch und technisch so brillant, dass sie daraus nun eine CD machen will, finanziert über Crowdfunding

Von Gregor Schiegl, Dachau

Nach zwei Deephouse-Alben überraschte der umtriebige Finne Jimi Tenor vor fünf Jahren mit einem Album, das er gemeinsam mit dem Jazz-Ensemble UMO in einem Studio eingespielt hatte. "Mysterium Magnum" hieß es. Bald könnte es die erste Live-Jazz-CD mit Jimi Tenor geben - wild und furios und mit glanzvoller Beteiligung der Bigband Dachau. Das edle Tonmaterial liegt bereits vor und Jimi Tenor höchstselbst hat den Dachauern das Okay gegeben, das gemeinsame Konzert, das sie 2019 in Landsberg zusammen gespielt haben, als CD herauszubringen.

Das kostet natürlich Geld, weshalb die Bigband Dachau eine Crowdfunding-Aktion gestartet hat. Etwa 4000 Euro sind für die Realisierung des Projekts angesetzt, 2310 Euro hat die Band bis Freitag bereits zusammenbekommen, die Hälfte davon hat die Volksbank-Raiffeisenbank Dachau beigesteuert, die dafür auch ihre eigene Crowdfunding-Plattform zur Verfügung stellt. Noch sechs Wochen lang kann man das Projekt finanziell unterstützen. Wer besonders großzügig ist, für den hat die Bigband einige besondere Belohnungen im Angebot, von der maßgeschneiderten Mailbox-Ansage mit Bigband-Fanfare (50 Euro) übers Live-Dirigieren der Band vor Publikum (300 Euro) bis zur Bigband-Komposition, die dem großzügigen Sponsor (1000 Euro) gewidmet ist.

Um zu verstehen, wie es dazu kam, dass der international bekannte Techno-Pionier und ein Ensemble, das aus einer traditionellen oberbayerischen Blaskapelle hervorgegangen ist, zusammen auf der Bühne gelandet sind, muss man ziemlich weit zurückgehen, genauer gesagt 17 Jahre und mehr als 500 Kilometer in die französische Schweiz: Als der extravagante finnische Musiker 2003 beim Montreux-Jazz-Festival auftrat, standen im Publikum auch zwei Fans aus Dachau: Jan van Meerendonk und sein Bruder Oliver. "Das war ein totales Erweckungserlebnis", sagt Jan van Meerendonk. "Es war, als ob ein UFO hinter der Bühne gelandet wäre."

Jimi Tenor war damals schon ein internationaler Star. Mit seinem Hit "Take Me Baby" gelang ihm 1996 auf der Love Parade der Durchbruch. Doch die Kunst interessierte Tenor immer mehr als der kommerzielle Erfolg: Techno war sein Heimatplanet, von dem er aus andere musikalische Welten erkundete, Afro-Beat, Pop, Jazz, ja sogar Klassik. 2018 trat Jimi Tenor im Münchner Techno-Club "Rote Sonne" auf, und auch die Gebrüder Meerendonk waren wieder da. Die beiden besuchten ihn hinter der Bühne und fragten ihn, ob er nicht Lust hätte, mit ihnen in der Bigband Dachau zu spielen; Oliver van Meerendonk greift dort fellbemützt in die Gitarrensaiten und Jan van Meerendonk sorgt im weißen Disco-Glitzer-Outfit am Schlagzeug für einen fetten Beat. Jimi Tenor zögerte nicht lange und sagte zu.

"Das ist für uns eine unfassbare Ehre", sagt Band-Leader Tom Jahn: Jimi Tenor sei ein Künstler von internationaler Bedeutung und die Bigband sei im Grunde doch nur ein "Blasverein". In dieses außergewöhnliche Konzert hat Tom Jahn schon im Vorfeld viel Arbeit investiert. "Ich habe die Stücke für unseren Klangkörper angepasst und teilweise umarrangiert", und wie es der Respekt gebietet, "ganz behutsam". Das Ergebnis war eine geradezu extraterrestrische Erfahrung. "Jimi Tenor plus Bigband Dachau? Man könnte meinen, so klingt Musik vom anderen Stern", schrieb die Augsburger Allgemeine über das umjubelte Konzert in Landsberg Und natürlich waren auch die Musiker der Bigband, ein Spross der Knabenkapelle Dachau, völlig von den Socken. Nun gibt es viele Konzerte, die sich im Rausch der Begeisterung viel toller anfühlen, als sie sich später tatsächlich auf Konserve anhören.

Doch hier ereignet sich ein seltener Glücksfall. Der Auftritt wurde mitgeschnitten, aber nicht in der Erwartung, eine grandiose CD zu machen, die Bigband wollte daraus nur ein paar hübsche Promo-Clips schneiden. Als die Musiker das eingespielte Material nach dem Auftritt anhörten, fiel nicht nur die brillante Tonqualität auf - mit der war zu rechnen, schließlich war extra ein 48-Kanal-Mehrspurgerät herangeschafft worden: Es war auch ein musikalisch brillantes Konzert, wahrscheinlich das beste, das die Bigband je gegeben hat. "Ich hatte nach den ersten zwei Takten schon Gänsehaut", sagt Jan van Meerendonk. "Jeder in der Band ist an diesem Abend über sich selbst hinausgewachsen."

Normalerweise muss sich das aus Laien, Halbprofis und Profis zusammengewürfelte Ensemble kleine Passagen zusammenpicken, mit denen es wirklich rundum zufrieden ist. "Doch diesmal stimmte fast alles." Auch und gerade die Chemie zwischen dem Finnen und den jungen Musikern aus Dachau: "Uns verbindet ein gewisses Maß an Verrücktheit im positiven Sinne, ein Faible für Glitzerkostüme und eine grenzenlose Offenheit dem musikalischen Moment gegenüber", sagt Band-Leader Tom Jahn. "Die repetitive und hypnotische Musik gibt die Fahrtrichtung vor. Aber dass es so gut funktioniert, hätte ich mir nicht träumen lassen."

Blickt man zurück auf das eingangs erwähnte "Erweckungserlebnis" in Montreux, kann man die These wagen, dass viel von Jimi Tenors künstlerischer DNA schon früh von den Gebrüdern Meerendonk in die Bigband gepflanzt wurde - so wie andere Musiker ebenfalls ihre Stilprägungen hinterlassen haben. Der wuchtige Stilmix, dieser "Massive Jazz", bietet in jedem Fall viele musikalische Anknüpfungspunkte für einen begeisterten experimentellen Musiker wie Jimi Tenor. Auf seiner Facebook-Seite vermeldete er begeistert: "An incredible weekend with Bigband Dachau! Nicest of people and an amazing band!"

Die Bigband Dachau tritt zusammen mit Jimi Tenor beim Jazzfrühling in Kempten am 30. April um 22 Uhr im Parktheater wieder auf. Alle Informationen zum Crowdfunding für die Live-CD sind auf der Homepage bigband-dachau.de zu finden.

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Quelle:
SZ vom 14.03.2020
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