Literaturfestival:Die Kraft der Bücher

Die Stadtbibliothek organisiert zum vierten Mal die literarische Reihe "Dachau liest" und ermöglicht es dem Publikum, mit den Autoren in den Dialog zu treten und Verständnis für die Werke zu erlangen

Von Magdalena Hinterbrandner, Dachau

Es gibt wohl keine bessere Möglichkeit, mehr Verständnis für ein literarisches Werk zu erlangen als auf einer Lesung mit dem Autor. Das vierte Dachauer Lesefestival bringt den Kabarettisten Sigi Zimmerschied, die Schriftsteller Katja Lange-Müller und Ingo Schulze, den Schauspieler Günther Maria Halmer und die Autorin Eva Gruberova gemeinsam mit dem Teamleiter der Dachauer SZ, Helmut Zeller, vom Mittwoch, 4. Oktober, bis Donnerstag, 12. Oktober, zusammen.

"Fliegen kann jeder"

Literaturfestival: Günther Maria Halmer

Günther Maria Halmer

(Foto: Sammy Hart/oh)

Man muss viel erlebt haben, um über sein eigenes Leben eine Autobiografie veröffentlichen zu können. Der deutsche Schauspieler Günther Maria Halmer kann das. Bekannt wurde Halmer in seiner Rolle als "Tscharlie" in Helmut Dietls "Münchner Geschichten". In seiner Biografie "Fliegen kann jeder. Ansichten eines Widerborstigen", beschreibt er seinen harten und steinigen Weg dorthin, wo er jetzt steht. Mit einem strengen Vater, dem Sinn zur Ehrlichkeit und Offenheit musste er auch viele Niederlagen ertragen. Rausschmisse aus seinem Gymnasium, aus dem Militär und aus der Hotelfachschule prägten sein früheres Leben. Bis er zu seiner Bestimmung fand: dem Schauspiel. Günther Maria Halmer verbindet mit seiner Geschichte eine klare Botschaft: "Man kann immer wieder aufstehen. Denn es sind nicht die Siege, sondern die Niederlagen, die am Ende den Erfolg ausmachen."

Am Reichtum leiden

Literaturfestival: Ingo Schulze

Ingo Schulze

(Foto: Gaby Gerster/oh)

Über Geld spricht man nicht? Peter Holtz, der Held von Ingo Schulz schon. In dem Roman "Peter Holtz. Sein glückliches Leben von ihm selbst erzählt" kämpft der Protagonist für die Abschaffung von Geld und für eine christlich-kommunistische Demokratie. Er ist selbstlos unterwegs und erleidet die Ironie des Schicksals. Er wird reich. Jetzt hat Holtz ein Problem: Wie kann er sein Vermögen schnell und anständig wieder loswerden? Ein Teufelsrad, in das er gerät, und aus dem er versucht, wieder herauszukommen.

Der Fluch des Ruhms

Sigi Zimmerschieds Protagonist in "der Komparse" dagegen führt ein graues Leben im Sanitätshaus seiner Mutter, bis er nach deren Tod entdeckt wird und eine Rolle in einer Episode einer Familienserie übernimmt. Er findet Gefallen an der großen Welt des Fernsehens, dem Glanz und Glamour der Welt der Stars und verliebt sich immer mehr in deren für ihn absolut umwerfenden Lebensstil. Immer weiter steigert er sich in diese Scheinwelt hinein. Er wird süchtig nach Ruhm und Anerkennung, kann nicht mehr ohne das Rampenlicht und die Bewunderung anderer leben. Er droht, sich selbst auf der ewigen Suche nach der eigenen Identität und seiner Sehnsucht danach immer mehr selbst zu verlieren. In einer Gesellschaft, die selbst nicht mehr weiß, auf was es wirklich ankommt. Zimmerschieds Roman ist eine Satire, die vordergründig den Beruf des Schauspielers auf die Schippe nimmt, tatsächlich aber die Gesellschaft.

Vergeblichkeit

Literaturfestival: Katja Lange-Müller

Katja Lange-Müller

(Foto: Heike Steinweg/oh)

Die 22-jährige Asta Arnold aus Katja Lange-Müllers Roman "Die Drehtür" weiß ganz genau, was sie will: Sie möchte in Nicaragua in der Klinik arbeiten, wie sie es bisher auch getan hat. Aber dann drückte man ihr ein Ticket nach Hause in die Hand. Ohne Rückflug - eine Kündigung. Mit jeder Zigarette mehr, die sie sich neben einer Drehtür am Münchner Flughafen anzündet, hängt sie ihren Gedanken nach. Hat das Helfen einen Sinn? Immer mehr versinkt sie in ihrer Vergangenheit und denkt über ihr früheres Leben nach.

Prinzip Hoffnung

Vergangenheit prägt die Gegenwart. Das Buch "Taxi am Shabbat. Eine Reise zu den letzten Juden Osteuropas" der Autoren Eva Gruberová und Helmut Zeller entfaltet ein Panorama jüdischen Lebens in sieben Ländern Mittel- und Osteuropas. Wie erging es den Überlebenden des Massenmords an den Juden, welcher Verfolgung waren sie und ihre Nachkommen unter den kommunistischen Regimes ausgesetzt, wie erlebten sie die politische Wende 1989? Die Autoren reisten in sieben Länder: Ungarn, Slowakei, Tschechien, Polen, Ukraine, Litauen und Weißrussland und sprachen mit Holocaust-Überlebenden, Rabbinern, Künstlern, Politikern, Philosophen, Historikern, Gemeindevorsitzenden - und Mitgliedern, besuchten in Odessa ein Kinderheim, in Bratislava ein jüdisches Altenheim und andere Einrichtungen. In den Geschichten spiegeln die beiden Journalisten die allgemeine Geschichte der Juden in Osteuropa, das vor der Vernichtung durch die Nationalsozialisten das Herz der jüdischen Diaspora gewesen ist.

Das Buch mit Reportagen, Porträts, Interviews und Analysen beleuchtet die gegenwärtige Krise Europas aus jüdischer Sicht. Die Aufbruchsstimmung der EU-Osterweiterung 2004 ist heute in den Mitgliedstaaten einer Ernüchterung gewichen, parallel zur Wiedergeburt eines ethnischen Nationalismus in Ländern wie Polen oder Ungarn erstarkt der Antisemitismus - mit der Folge, dass die jüdischen Gemeinden wie auch in Westeuropa Verfolgung und Hetze ausgesetzt sind. In ihrem Buch zeichnen die Autoren ein Bild der Europadämmerung, aber es gibt auch Hoffnung: Viele junge Menschen, ob in Litauen, Polen oder der Ukraine, besinnen sich auf die jüdische Geschichte ihrer Länder, suchen sogar nach jüdischen Wurzeln in ihren Familien. Manche sprechen schon von einer Renaissance des osteuropäischen Judentums. Auf jeden Fall treten seine heutigen Vertreter, die jahrzehntelang hinter dem Eisernen Vorhang fast vergessen waren, in den Vordergrund. Eva Gruberová und Helmut Zeller geben den so lange Unsichtbaren ein Gesicht. Die Literaturwissenschaftlerin und Journalistin Rachel Salamander schreibt über das Buch: "Einfühlsam gegenüber den traurigen Schicksalen der durch den Nationalsozialismus und den Kommunismus doppelt Verfolgten und kenntnisreich in der Sache, gelingt es den Autoren meisterlich, die persönlichen Geschichten in der allgemeinen Geschichte zu spiegeln."

Der letzte Abend des Dachauer Lesefestivals wird Leonard Cohen gewidmet. Im Alter von 82 Jahren starb Cohen am 7. November 2016 in Los Angeles. Mit seiner melancholischen Musik und seinen poetischen Texten prägte Cohen eine ganze Generation und wurde zu einer Legende, die Schriftsteller Gert Heidenreich und seine Band am letzten Abend des Dachauer Lesefestivals würdigen.

Karten: München-Ticket, Stadtbücherei Dachau oder Kulturamt gegenüber dem Rathaus.

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