Süddeutsche Zeitung

Lichtspiele :Kinoleinwand aus Beton

Nina Märkls Reliefe werfen zu jedes Tageszeit andere Schattenmuster

Von Anna-Elisa Jakob, Dachau

Eine Betonwand, darunter blecherne Garagentore, Schmierereien, Schilder, die auf das Parkverbot hinweisen: Die Rückwand der Artothek ist an sich kein schöner Ort. Doch Nina Märkl wollte unbedingt hier ausstellen zur Freiluftausstellung "Raus" der Künstlervereinigung Dachau. Gerade weil der Ort so rau ist. Ein "Unort", wie sie es nennt. An dieser Fassade hat sie geschweißte Stahlzeichnungen angebracht - minimalistisch, modular, neutral.

"Ich mag es überhaupt nicht, Kunst einfach in einen Raum zu hängen", sagt die Künstlerin. Ihr geht es darum, mit dem Raum zu arbeiten, dessen Stimmung zu behalten und trotzdem etwas Neues entstehen zu lassen. Nina Märkl stellt gleichzeitig gerade in der Münchner Kirche Sankt Paul aus, dort fügen sich ihre geometrischen Gebilde zwischen Heiligenbilder und -figuren. Für die Formen nimmt sie meist Elemente aus dem jeweiligen Raum auf, übersetzt sie in ihre Kunst, sucht dabei stets das Spiel mit Licht und Schatten.

Je nach Raum justiert sie diese dann um, setzt die Werke höher, tiefer, schafft neue Komponenten mit Formen, Licht und Schatten. Für die Ausstellungsreihe der KVD verlagert sich all das in den Außenraum: Fern von künstlichem Licht und der Möglichkeit, die Werke mithilfe von Technik so auszuleuchten, dass der gewünschte Schatteneffekt entsteht. "Raus" steht dafür, auf den freien Raum einzugehen, ihn in das eigene Kunstwerk zu integrieren oder sich gerade von diesem abzugrenzen. Für Nina Märkl sind Arbeiten im Außenraum gerade aus diesem Grund eine Herausforderung, die sie gerne sucht.

Hier hat sie im Nachhinein nichts mehr nachjustieren, nichts mehr verändern können. "Alles war vorher klar überlegt", sagt sie. Ein langer Arbeitsprozess, begonnen mit Zeichnungen auf einfachen DIN-A4-Blättern, später dem Bau der Objekte für die mehrere Meter lange Wand. "Auf einer so großen Fläche habe ich vorher noch nie gearbeitet", erklärt sie.

Nun sitzt sie im Schatten vor der langen Betonwand, die Schuhe hat sie ausgezogen, die Hebebühne steht noch ein paar Meter entfernt. Am Mittwoch hat sie mit einigen Helfern ihre Werke angebracht, am Donnerstagmorgen konnte sie diese das erste Mal im Licht sehen, den Schatteneffekt beobachten. Trotz akribischer Planung konnte sich die Künstlerin bis zu diesem Moment nicht sicher sein, wie das Gebilde in natura wirken würde. Doch sie war zufrieden, verbrachte den restlichen Vormittag auf der Hebebühne, um ein paar Feinheiten zu korrigieren - aber vor allem, um das Werk von allen Seiten und in allen Lichteinflüssen zu betrachten, Fotos zu machen, den Prozess zu dokumentieren.

Besucher, die am Abend an der Artothek vorbeischlendern, werden ein ganz anderes Bild erleben als in der Früh: Im Schatten liegend ist es eine grafische Reliefarbeit, geometrische Formen, die gleichauf mit der Wand verschmelzen. Am Morgen, im Licht, erhalten die Formen Tiefe, sinken in die Wand hinein oder stechen aus ihr hervor. Die Formen sind unterschiedlich weit von der Wand entfernt, um unterschiedliche Effekte zu erzeugen, das Licht zu unterschiedlichen Schattenwürfen herauszufordern. Ein "filmisches Erleben" möchte die Künstlerin erzeugen, und tatsächlich verwandelt sie die graue Betonwand in eine Leinwand der anderen Art.

Wer geduldig ist, kann dem Spiel von Licht und Schatten über Stunden hinweg zusehen. Wer die Überraschung, den Kontrast sucht, kann zu jeder Tageszeit vorbeischlendern, vergleichen und sich gleichermaßen wundern über diese Symbiose von hartem Stahl und Beton und der weichen, natürlichen Kraft der Sonne. Nina Märkl lässt den Betrachter in den kommenden Wochen an dem natürlichen Wandel teilnehmen, der selbst einem rauen Ort wie diesem täglich Leben und stetige Veränderung einhaucht.

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Quelle:
SZ vom 27.07.2019
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