Lesung und Gespräch:Eine mutige Familie

Lesezeit: 3 min

Adelmo Cervi begann erst mit Anfang 70 das Leben seines Vaters in einem einfühlsamen Buch nieder zu schreiben. (Foto: Niels P. Joergensen)

Adelmo Cervi erzählt im Café Gramsci vom Kampf seines Vaters und seiner Onkel gegen die Faschisten.

Von Renate Zauscher, Dachau

"Sieben Männer, sieben Leben, sieben Tode - und sieben Tapferkeitsmedaillen": Auf diesen knappen Nenner bringt Adelmo Cervi die Tragödie der sieben Cervi-Brüder aus dem kleinen Dorf Campegine bei Reggio nell'Emilia in Norditalien. Im Dezember 1943 wurden sie, der älteste 42 Jahre, der jüngste erst 22, in der Provinzhauptstadt als Antifaschisten und Partisanen gemeinsam hingerichtet.

Adelmo Cervi ist der Sohn des drittältesten Cervi-Bruders, Aldo. Vor wenigen Jahren, bereits siebzigjährig, hat sich Cervi auf Spurensuche begeben, um mehr über den Vater zu erfahren, der nach dem Krieg zusammen mit seinen Brüdern zu Symbolfiguren des antifaschistischen Widerstands in Italien wurde. Cervi hat ein Buch über diese Suche geschrieben, das im Italienischen den schönen Titel "Io che conosco il tuo cuore" trägt - "Ich, der ich dein Herz kenne". Die deutsche Übersetzung heißt etwas irreführend "Meine sieben Väter". Der Autor stellte es nun zusammen mit dem Historiker Thomas Schlemmer, Privatdozent und Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte in München, und dem Organisator der Lesung Alessandro Eugeni im Café Gramsci in Dachau vor.

"Ich bin der Sohn eines Mythos", schreibt Adelmo Cervi im Vorwort seines Buchs. Aber nicht der Mythos interessiert ihn, sondern der Vater als Mensch: Er versucht, ihn als Person zu verstehen und seine Motive nachzuvollziehen. Im Gramsci, dessen Name an einen anderen Rebellen und Widerständler erinnert, wird die Lesung sehr schnell zum lebhaften Gespräch mit den Besuchern. Der schmale, weißhaarige Mann mit dem leuchtend roten Pullover - ein politisches Statement? - liest nach einer kurzen Einführung durch Alessandro Eugeni und Thomas Schlemmer ein paar Seiten, dann beginnt er - Schlemmer dolmetscht - frei zu erzählen. Von der bäuerlichen Umgebung, aus der die Familie stammt, von den Großeltern, und vom Vater, den ein Zwischenfall beim Militärdienst ins Militärgefängnis von Gaeta bringt. Dort lernt er politische Gefangene und deren kommunistische Ideale kennen. Zurück im Dorf, überzeugen er und der älteste Bruder Gelindo die fünf anderen Cervi-Brüder davon, dass Faschismus und Kapitalismus bekämpft werden müssen, um eine neue, bessere Welt aufzubauen. Sie verbreiten vor allem nach dem Kriegseintritt Italiens unter Mussolini an der Seite der deutschen Nationalsozialisten antifaschistische Flugschriften und wollen durch die Zurückhaltung ihrer landwirtschaftlichen Erzeugnisse "Sand ins Getriebe der Kriegsmaschinerie streuen".

Respekt vor den Idealen des Vaters

Die italienische Partisanenbewegung, erklären Cervi und Schlemmer, entstand nach dem Sturz von Mussolini und der Besetzung von Teilen Italiens durch die Nazis. Eine der ersten Zellen ist die der Cervi-Brüder. Nach der ersten Freude über Mussolinis vermeintliches Ende und den Friedensschluss mit den Alliierten im Sommer 1943 kommt die Ernüchterung: Die Faschisten schlagen zurück. Im November wird der Hof der Cervis von faschistischen Kräften umstellt, das Haus angezündet. Die Männer ergeben sich, um Frauen und Kinder zu retten.

Wie soll ein heute über Siebzigjähriger mit diesem Erbe - dem Vaterverlust, dem dann einsetzenden Heldenmythos, den eigenen Erinnerungen - fertig werden? Adelmo Cervi hat seinen Weg gefunden: mit großem Respekt vor den Idealen des Vaters, die er, parteilos, selber teilt, mit Einfühlungsvermögen und auch viel Humor. Der Vater habe versucht, das Beste aus dem Gedankengut der linken Demokratie und des Sozialkatholizismus zusammenzubringen, sagt Cervi, und verweist auf den tiefreligiösen Hintergrund der Familie und die Aktivitäten des Vaters in der kirchlichen Jugendbewegung. Nicht nur von den Männern in der Familie handelt Cervis Buch: Die Faschisten ermordeten nicht nur die sieben Brüder, sondern auch deren Mutter Genoeffa: Sie überlebte die Katastrophe nicht. Die Witwen der Söhne bewirtschafteten den Hof allein weiter und bewiesen selbst großen Mut: Sie versteckten entflohene Kriegsgefangene und Deserteure.

Zwei Fotos halten das Ungeheuerliche, dass der Cervi-Familie widerfuhr, wie in einer Zeitkapsel fest: Das eine zeigt die sieben Brüder mit ihren zwei Schwestern und den Eltern in den Dreißigerjahren. Auf einem zweiten, nach Kriegsende, ist als einziger Mann der Großvater zu sehen. Umstanden von vier schwarz gekleideten Witwen und elf Kindern. Auf keinem der Gesichter ist auch nur die Spur eines Lächelns zu sehen.

© SZ vom 20.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: