Süddeutsche Zeitung

Lesung in Bergkirchen:Hoffnung und Verzweiflung

Norbert Göttler lässt das Leben Albrecht Haushofers lebendig werden

Von Renate Zauscher, Bergkirchen

Albrecht Haushofer: ein Name, der vielen Heutigen nicht mehr geläufig ist. Zwar kennt man Haushofer als den Verfasser der "Moabiter Sonette", das Drama aber, das den Autor persönlich und seine Familie mit dem Nationalsozialismus und einigen seiner wichtigsten Protagonisten verbindet, blieb lange Zeit weitgehend unbekannt. Norbert Göttler, Schriftsteller, Publizist und Bezirksheimatpfleger von Oberbayern, hat sich intensiv mit dem Leben und Denken Albrecht Haushofers beschäftigt und den Stoff in seinem Buch "Dachau, Moabit und zurück - eine Begegnung mit Albrecht Haushofer" literarisch verarbeitet. Das Ensemble des Hoftheaters Bergkirchen hat jetzt mit einer szenischen Lesung von Göttlers Text an die Novemberpogrome vor 83 Jahren erinnert.

Für Norbert Göttler hat das Schicksal Albrecht Haushofers, der 1945, unmittelbar vor Kriegsende, in Berlin-Moabit zusammen mit mehr als einem Dutzend anderer Gefangener von der Gestapo erschossen wird, und das seiner Eltern, die ein Jahr später ihrem Leben ein Ende setzen, die Anmutung einer griechischen Tragödie. Eines Geschehens mithin, das auf Grund schicksalhafter persönlicher wie familiärer Konstellationen unerbittlich auf die Katastrophe zusteuert.

Das Leben des 1903 geborenen Albrecht Haushofer spielte sich ab im Spannungsfeld zwischen der eigenen Skepsis und später dem Widerstand gegenüber dem Nationalsozialsozialismus und den national-konservativen Überzeugungen des Vaters Karl, eines Universitätsprofessors, der Hitlers Machtexzessen durch seine geopolitischen Thesen Vorschub leistete. Zu Karl Haushofers Schülern und Freunden zählte Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß. Heß war auch deshalb für die Familie wichtig, weil diese sich durch ihn einen gewissen Schutz der nach damaliger Definition "halbjüdischen" Mutter versprach und weil der Kontakt sich auch als förderlich für die Karriere des Sohns als Dozent und dann Professor in Berlin erwies.

Haushofer hat bereits sehr früh die politische wie auch persönliche Katastrophe kommen sehen, das bezeugen seine Briefe an die Familie. Gleichzeitig hoffte er, "von innen" durch politische Mitarbeit, etwa als Berater von Außenminister Ribbentrops, mäßigenden Einfluss auf die deutsche Politik nehmen zu können. Als er erkennen musste, dass ihm dies nicht gelingen würde, nahm er Kontakt zum Widerstand auf, insbesondere dem Kreisauer Kreis und Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Nach dem spektakulären Flug von Rudolf Heß nach England 1941 wurde Albrecht Haushofer festgenommen, ebenso wie der nach Dachau eingelieferte Vater, aber bald wieder freigelassen. Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 musste Haushofer dann als Mitwisser fliehen, wurde aber auf einem Bauernhof in Partenkirchen verhaftet und in Berlin ins Gefängnis an der Lehrter Straße gebracht. Dort schaute er in den "Moabiter Sonetten" auf sein Leben zurück, seine Beziehung zur geliebten Mutter, auf den Vater, der "den Hauch des Bösen nicht gesehen" hatte, auf Freunde und Verbündete, die vor ihm in diesen Zellen so wie er auf den Tod gewartet hatten. Aber auch auf das, was er als seine persönliche Schuld empfunden hat: "Ich hab gewarnt - nicht hart genug und klar!"

Das Ensemble des Hoftheaters mit Herbert Müller, Ansgar Wilk und Janet Bens sowie Ulrike Beckers und Jürgen Füser hat Norbert Göttlers Text, in den zahlreiche Strophen der Moabiter Sonette eingeflossen sind, auf beklemmende Weise lebendig werden lassen. Die innere Zerrissenheit Haushofers zwischen Hoffnung und Verzweiflung und sein Konflikt mit dem Vater, der seine persönliche Schuld bis zuletzt nicht einsehen wollte, schließlich aber mit ihr nicht mehr leben konnte, findet in den mit wechselnden Rollen gesprochenen Texten erschütternden Ausdruck. Zwar sind die Verhördialoge wie der zwischen Albrecht Haushofer und einem Gestapo-Mann oder zwischen dem Vater und einem US-Offizier nach Kriegsende fiktiv, Göttler hat sich in der Formulierung der Antworten aber weitestgehend an Äußerungen von Vater und Sohn Haushofer orientiert, wie sie sich in Briefen und anderen schriftlichen Zeugnissen finden. Akzentuiert wird die Lesung von Göttlers Texten durch Musik von Ernst Krenek, der dem Nazi-Terror durch die Flucht ins US-amerikanische Exil entkommen konnte.

In einem kurzen Schlusswort erklärte Göttler dem spürbar betroffenen Publikum seine besondere Beziehung zu Albrecht Haushofer und dessen Familie. Einerseits habe ihn der Stoff als Literat und Historiker intensiv beschäftigt, andererseits als Heimatpfleger: Heimat sei schließlich nicht nur die "Idylle", als die sie manche sehen, sondern habe auch ihre "gebrochenen Seiten". Und hier sieht Göttler die Relevanz, die das Drama um Haushofer für die heutige Zeit hat: Es gelte, "gegen diktatorische Bestrebungen vom ersten Augenblick an Widerstand zu leisten". Hätten diese "erst einmal Fuß gefasst", dann "ist es zu spät".

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Quelle:
SZ vom 12.11.2021
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