Süddeutsche Zeitung

Literatur:Wachsendes Glück

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Bei ihrer Lesung in der Dachauer Stadtbücherei thematisiert Christine Zeile nicht nur humorvoll ihren gärtnerischen Werdegang. Sie setzt sich auch fundiert und kritisch mit den Lebens- und Produktionsweisen der heutigen Landwirtschaft auseinander

Von Renate Zauscher, Dachau

Der eigene Garten: Für viele ist er nach wie vor ein Sehnsuchtsort. Als Ort aber, der einen wesentlichen Teil unserer Ernährung liefert, hat der Garten weitgehend ausgedient: Den makellosen Apfel, die perfekte Karotte holt man sich ganz einfach aus dem Supermarkt, ohne groß darüber nachzudenken, wo sie gewachsen sind und mit wie viel Einsatz von Chemie sie produziert wurden.

Jemand, der das so nicht mehr hinnehmen wollte, ist Christine Zeile. Nach vielen Jahren als Lektorin in einem renommierten Münchner Verlag lebt sie heute in Frankreich, wo sie neben ihrer Forschungsarbeit über historische Themen einen großen Garten pflegt und sich von ihm ernährt. Über ihren Weg zur erfolgreichen Gärtnerin hat Zeile ein Buch geschrieben, das jetzt in der Stadtbücherei Dachau vorgestellt wurde. Moderiert hat den Abend Helmut Zeller, Leiter der SZ-Redaktion in Dachau - ein "Mann der Feder", als den ihn die Leiterin der Stadtbücherei, Slávka Rude-Porubská bezeichnete.

"Auf der Suche nach dem Geschmack der Kindheit - Mein Leben als furchtlose Gärtnerin" hat Christine Zeile die Schilderung ihres gärtnerischen Werdegangs überschrieben. Der Titel verweist bereits auf den großen Spannungsbogen ihres Themas - und auch auf ihren Humor, den sich die Autorin trotz so mancher gärtnerischen Rückschläge und trotz deprimierender Erkenntnisse dort, wo es um landwirtschaftliche Produktionsweisen und Ernährungsfragen geht, ganz offensichtlich bewahrt hat.

Für ihn sei die Lektüre des Buchs "eine Offenbarung" gewesen, sagte Helmut Zeller, der sich selbst nicht unbedingt als Experte für Garten und Gartenkultur sieht, in seiner Einführung; seine diesbezüglichen Ambitionen erstreckten sich bislang lediglich auf die Anlage eines Salatbeets, das über Nacht den Schnecken zum Opfer fiel. Und so waren es für ihn wohl auch gar nicht so sehr Zeiles praktische Tipps fürs Garteln, die ihn begeisterten, sondern vor allem die vielfachen Bezüge ihres Buchs zu heutigen Lebens- und Produktionsweisen, die gerade auch in der Landwirtschaft von Homogenität und Standardisierung geprägt sind.

Kindheitserinnerungen waren es, die Christine Zeile zur Gärtnerin werden ließen. Sie sieht sich rückblickend als Sieben- oder Achtjährige im Kirschbaum sitzen - inmitten einer Fülle reifer Früchte, die nicht nur köstlich schmecken sondern auch noch als Schmuck dienen, etwa als "Ohrring". Wirklich idyllisch aber sind diese "Innenbilder" für Zeile erst einmal gar nicht: Die Bananen, die ihre besten Freundin, das Nachbarmädchen, zu Hause bekommt, seien viel begehrenswerter gewesen als das, was im eigenen Garten wuchs.

Dennoch macht sich Christine Zeile im späteren Leben auf die Suche nach diesem "Geschmack der Kindheit": erst in einem bayerischen Schrebergarten, dann in einem französischen Dorf. Dort muss Zeile dann die Erfahrung machen, dass die Sache mit dem eigenen Gemüse, dem eigenen Obst - und beides natürlich in Bio-Qualität - gar nicht so einfach ist. Was tun, wenn der Kirschbaum zwar wächst und blüht - aber einfach keine Früchte tragen will? Wenn Hitzewellen die Kartoffelpflanzen verdorren lassen oder der Apfelwickler zuschlägt? Zeile sucht sich Hilfe im Gartencenter - und muss zu Hause feststellen, dass das, was man ihr dort verkauft hat, ein Giftcocktail ist, der nicht nur dem Apfelwickler den Garaus macht sondern auch allen anderen Insekten und zuletzt sogar dem Menschen.

Hier liegt für Christine Zeile der vielleicht wichtigste Grund, warum sie ihr Gartenbuch geschrieben hat: Sie will die Hersteller sogenannter Pflanzenschutzmittel zwingen, auf den Etiketten ihrer Produkte auf die giftige Inhaltsstoffe und die Gefahren, die mit der Verwendung einhergehen, deutlich hinzuweisen. Deshalb nennt Zeile diese Produkte und die Produzenten klar beim Namen: Sie selbst musste sich ihre Informationen erst mühsam im Internet zusammensuchen.

Aber auch etwas anderes möchte Zeile ihren Lesern vermitteln: Sie sollen mit ihr die Freude darüber teilen, dass aus dem selbst ausgesäten Samenkorn ein Pflänzchen wächst, dass aus ihm zuletzt die küchenfertige Karotte, der Salatkopf oder die Tomate entsteht. Sie will dazu beitragen, die genetische Vielfalt alter Sorten zu erhalten, die in der landwirtschaftlichen Produktion, wie sie heute betrieben wird, weitestgehend verloren ging, und sie möchte aus den "Konsumenten" unserer Tage wieder die "Produzenten" früherer Zeiten machen.

Zeiles Zuhörer in der Stadtbücherei gehörten fast alle zu den Glücklichen, die einen eigenen Garten besitzen: Als Helmut Zeller nach der Gartenerfahrung unter den Besuchern fragte, ging die Mehrzahl der Hände in die Höhe. Einige von ihnen konnten ein Exemplar von Zeiles Buch erwerben, alle anderen müssen allerdings warten, bis es in neuer Auflage erscheint.

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Quelle:
SZ vom 31.07.2021
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