Leiter des Kreisjugendrings Dachau:"Die Jugendlichen halten tapfer durch"

2020 ist ein entbehrungsreiches Jahr für die Teenager des Landkreises gewesen. Fast alle Veranstaltungen sind ausgefallen. Ludwig Gasteiger, Leiter des Kreisjugendrings, spricht über die Herausforderungen, die die Pandemie gebracht hat - auch für sein Team

Interview von Daniel Beckord

KJR Podium

Die Podiumsdiskussion mit den OB-Kandidaten in Dachau war 2020 wohl die größte und auch letzte Veranstaltung des KJR.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Alles ruht. Nicht nur Gaststätten, Geschäfte und Schulen sind geschlossen. Auch der Kreisjugendring (KJR) muss stillhalten. Die Neunte Bayerischen Infektionsschutzverordnung hat die Jugendarbeit in vielen Bereichen untersagt. Das kommt hart an, nicht nur bei den Jugendlichen selbst, sondern auch bei den ehrenamtlichen Helfern und Jugendsozialarbeitern. 2020 ist ein schwieriges Jahr, das große Herausforderungen für beide Seiten bereithielt. Die Süddeutsche Zeitung sprach mit Ludwig Gasteiger, dem Geschäftsführer des Kreisjugendrings Dachau, darüber.

SZ: Herr Gasteiger, wie hat sich die Verordnung, die seit dem 1. Dezember gilt, auf die Jugendarbeit ausgewirkt?

Ludwig Gasteiger: Die verschiedenen Bereiche der Jugendarbeit müssen für sich betrachtet werden, weil die Auswirkungen der Pandemie ja auch unterschiedlich sind. Sehr nachhaltig hat sie sich auf die Jugendverbände ausgewirkt, die sehr stark von der Gruppenarbeit leben. Diese konnte zum Großteil nicht mehr stattfinden. Gerade für die ehrenamtliche Jugendarbeit ist es eine große Herausforderung mit der Situation umzugehen. Viele machen sich große Sorgen, wie es danach weitergeht.

Sie meinen, dass das Interesse verloren gehen könnte?

Ich meine, dass ehrenamtliche Strukturen wegbrechen oder auch ehrenamtliche Helfer aufhören. Chöre oder andere Gruppenprojekte, die nicht mehr stattfinden können, werden sich neu sortieren, wenn es wieder losgeht. Keiner weiß genau, welche Auswirkungen das alles haben wird. Also wenn man es optimistisch sieht, kann man hoffen, dass es danach weitergeht. Dass viele Lust haben, sich endlich wieder zu treffen und gemeinsame Veranstaltungen zu planen und es mit einem größeren Schwung wieder losgeht. Für die hauptamtliche Jugendarbeit, also die Jugendarbeit in den Gemeinden, in den Jugendzentren und die aufsuchende Jugendarbeit sowie andere Formen, ist es natürlich so, dass der erste Lockdown sehr schwierig war, weil man darauf nicht vorbereitet war. Man hat keinen Kontakt gehabt und trotzdem versucht, Kontakt zu halten, digitale Angebote zu machen. Da hatte man für den zweiten Lockdown mehr Klarheit: Jugendhilfe, Jugendsozialarbeit und Beratungsangebote müssen möglich bleiben.

Leiter des Kreisjugendrings Dachau: Auch zur Demo gegen Rechts sammelten sich viele Menschen damals.

Auch zur Demo gegen Rechts sammelten sich viele Menschen damals.

(Foto: Toni Heigl)

Gibt es denn Möglichkeiten, mit denen Verbände und Jugendorganisationen ihre Arbeit fortsetzen können?

Jugendverbände können sich digital treffen und sich austauschen. Bis zur Verschärfung war es auch möglich, sich unter strengen Hygieneregeln zu treffen. Gruppen- und Bildungsarbeit ist in Präsenz mittlerweile untersagt. Auch wenn Treffen im digitalen Raum nicht die gleiche Qualität haben, geht es natürlich darum, das Beste aus der Situation zu machen. Einige Sachen konnten gut digitalisiert werden, wie Bildungsangebote und die Gremienarbeit. Zum Beispiel das Dachauer Schülerbüro, dort hat man sich digital getroffen. Die Jugendräte im Landkreis treffen sich auch weitgehend digital. Das gleiche gilt für unsere Gremien und für Bildungsangebote: Wir hatten sehr erfolgreiche Veranstaltungsformate wie "Zoom den Landrat" zur Pandemielage im Landkreis; oder einen Fachtag mit fast 90 Teilnehmern und Teilnehmerinnen aus allen bayerischen Landkreisen zur Stärkung der Beteiligungsmöglichkeiten für Jugendliche; aber auch eine Fortbildungsveranstaltung zur Stärkung von Demokratie an Schulen, etwa an der Grundschule Karlsfeld.

Viele Gremien wie die Begleitausschusssitzungen der Partnerschaft für Demokratie, Treffen des Runden Tischs gegen Rassismus oder die Vollversammlung des KJR waren besser besucht denn je. Hier haben wir gelernt, was man mit digitalen und hybriden Angeboten alles machen kann. Mit wonder.me haben wir sogar eine Weihnachtsfeier digital machen können. Das alles kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sehr viele Angebote nicht oder nur sehr eingeschränkt stattfinden konnten. So konnte sich der Jugendkreistag zu seiner konstituierenden Sitzung leider nicht treffen.

Könnte sich das jetzt mit dem harten Lockdown noch weiter verschärfen?

Oh, eine Dummel

Als Geschäftsleiter des Kreisjugendrings Dachau hat Ludwig Gasteiger einige Bedenken, wenn er an die Zukunft denkt. Alles ist ungewiss, auch wie es in diesem Jahr weitergehen wird.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Also es ist natürlich so, dass die Jugendarbeit gesagt hat, dass es wichtig ist, dass man gewisse Sachen noch anbieten können muss. Sozusagen erste, niedrigschwellige Anlaufstellen bei psychischen oder sozialen Problemen. Und das ist dann eine sehr schwierige Situation. Wenn Kinder oder Jugendliche Probleme haben oder wenn die Eltern psychische Probleme haben, kann der Lockdown sehr viel auslösen. Da ist es wichtig, dass man Ansprechpartner und -partnerinnen hat, denen man vertraut. Aufsuchende Jugendarbeit muss möglich bleiben, auch um über verantwortungsvolles Handeln in Pandemiezeiten mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Selbstverständlich muss das aber alles unter sehr strenger Einhaltung der Kontaktbeschränkungen erfolgen. Da hat Jugendarbeit immer auch Vorbildfunktion.

In der Bevölkerung herrscht zum Teil das Bild von einer ignoranten Jugend, die die Beschränkungen ignoriert. Können Sie dieses Bild bestätigen, oder haben Jugendliche eine weit bessere Wahrnehmung vom aktuellen Ernst der Situation?

Ich glaube, die Jugendlichen haben eine ganz gute Wahrnehmung davon. Wenn man sich die Gesamtheit der Bevölkerung ansieht und einen Vergleich mit anderen Altersgruppen zieht, sind Jugendliche überdurchschnittlich gebildet. Sie nehmen wissenschaftliche Befunde sehr ernst. Zum Beispiel hat ja auch die Fridays-for-Future-Bewegung darauf hingewiesen, dass es wichtig ist, wissenschaftliche Expertise ernst zu nehmen. Die Mehrheit kapierte ganz gut, was in der Situation erforderlich ist. Ältere Menschen sind in der Hinsicht eher resistent und nehmen die Problematik der Lage oft nicht ernst genug.

Auf der anderen Seite ist es so, dass es für Erwachsene leichter ist, zu Hause zu bleiben als für Jugendliche. In der Jugendphase ist es besonders wichtig, sich mit Gleichaltrigen in Gruppen und in wechselnden Situationen und Konstellationen zu treffen. Das ist ja gerade das Kennzeichen dieser Lebensphase. Es ist wichtig, sich da ausprobieren zu können, und natürlich ist das Spiel mit Regeln und Grenzüberschreitungen für die Jugend wichtig. Das ist ja alles Teil der Identitätsbildung. Da gibt es, natürlich, auch die Versuchung zu sagen, dass man sich trotzdem heimlich trifft. Das kann man aber auch irgendwo nachvollziehen, wobei man aber natürlich auf die Einhaltung der Regeln pochen muss. Aus meiner Wahrnehmung kann man nicht sagen, dass Jugendliche insgesamt weniger verantwortungsbewusst wären als andere Altersgruppen.

Oh, eine Dummel

Bandauftritte wie 2019 gab es im vergangenen Jahr praktisch nicht.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Gibt es eine wachsende psychische Belastung unter den Jugendlichen durch die anhaltende Pandemie?

Ich glaube, es ist eine enorme psychische Belastung für einige. Die Jugendlichen, die ich kenne, halten tapfer durch. Wenn aber jemand keinen großen Freundeskreis hat und sich Menschen auf ihre Kernbeziehungen zurückziehen, fallen für einige eben auch wichtige Kontakte weg. Ich glaube, dass viele Ängste und Depressionen zunehmen und dass Jugendhilfe und therapeutische Angebote da sehr wichtig sind. Oft ist die Jugendsozialarbeit an Schulen der erste Ansprechpartner. Auch deswegen war es ganz wichtig, dass die Schulen so lange wie möglich offen waren und die Jugendsozialarbeit vor Ort anzutreffen, damit Probleme sehr früh bemerkt werden und gemeinsam bearbeitet werden konnten. Insgesamt ist die Situation schwer zu beurteilen. Die Studien sagen aber deutlich, dass der Shutdown für viele sehr belastend ist.

Wird das ganze Ausmaß der Schließungen dann erst wieder bei einer Normalisierung im nächsten Jahr zu sehen sein?

Ja, das war schon nach dem ersten Lockdown der Fall als die Schulen im Herbst wieder normal geöffnet wurden. Da hat man schon wieder viel in der Jugendsozialarbeit und den Jugendzentren aufgegriffen. Es bestand ein großes Bedürfnis, sich wieder treffen und austauschen zu können. Viele haben aber die Angebote auch nicht wahrgenommen, sei es im Jugendzentrum oder zum Sport, weil die Jugendlichen noch vorsichtig waren. Und man wird natürlich erst später sehen, ob junge Menschen, die unter der Isolation leiden, wieder rausgehen.

Erwarten Sie dann wieder eine Normalisierung in der Jugendarbeit im neuen Jahr und eine Normalisierung des Alltags?

Ich hoffe sehr, dass sich das gesamte gesellschaftliche Leben wieder normalisiert. Grundsätzlich sehe ich das ganz optimistisch, dass es im kommenden Jahr schrittweise besser wird. Das wird aber abhängig davon sein, wie sich Impfungen oder vielleicht zusätzliche Medikamente auswirken. Und das wird sich auch erst nach den Wintermonaten positiv auswirken, ab März, April oder Mai.

Und welche Auswirkungen, dass dann auch auf größere Veranstaltungen hat? Wir wollten im kommenden Jahr ja das Kult-Festival zusammen mit dem Jetzt e.V. veranstalten. Da gibt es jetzt schon heiße Diskussionen, ob man im nächsten Jahr ein Festival machen kann, ob es sich lohnt, das zu planen, welche Risiken wir haben und wie Hygienekonzepte aussehen könnten. Da gibt es noch viel Unsicherheit.

Auf der anderen Seite ist es natürlich wichtig, dass jugendkulturelle und andere Angebot der Jugendarbeit, wie Sportangebote, Freizeiten und Fahrten, wieder losgehen. Am Schwierigsten ist es für uns im Bereich der internationale Jugendarbeit. Die Internationale Jugendbegegnung Dachau mit im Normalfall 100 Teilnehmern und Teilnehmerinnen aus der ganzen Welt wird in einem kleineren Format, weniger international und mehr digital durchgeführt. Aber wir bleiben optimistisch. So planen wir alles mit Plan A, B und C und sehen dann, wie wir die Angebote umsetzen können. Wir haben zum Beispiel mit der Künstlervereinigung viele neue Jugendkunstkurse geplant und damit ganz neue Angebote im Programm und hoffen, diese durchführen zu können.

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