Lehrstellen auch unbesetzt:Viele Jugendliche brechen ihre Lehre ab

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In Berufen wie Maler, Lackierer oder Schreiner liegt die Quote bei bis zu 16 Prozent. Dieser Entwicklung begegnet die Arbeitsagentur mit Aktionen zur Berufsberatung schon in den Schulen. Allerdings sind die Gründe für den vorzeitigen Abbruch der Ausbildung vielfältig

Von Jacqueline Lang, Dachau

Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt, so scheint es zumindest nach einem Blick auf die statistischen Zahlen, hat sich zunehmend verschlechtert in den vergangenen Jahren. Auch der Landkreis Dachau ist betroffen: Vor knapp einem halben Jahr, am 1. Oktober 2017, hat das Berufsberatungsjahr 2017/2018 begonnen. Noch jetzt sind im gesamten Landkreis insgesamt 444 freien Stellen für Auszubildende als frei gemeldet. Das sind 90 Lehrstellen mehr als im Vorjahreszeitraum. Nur 437 Jugendliche, die sich für eine Ausbildungsstelle interessieren, haben das Beratungsangebot der Agentur bislang wahr genommen. Das sind 41 Jugendliche weniger als noch im Vorjahr. Diese wenig optimistischen Zahlen fügen sich auf den ersten Blick gut in das düstere Bild, das seit Wochen in der Öffentlichkeit gezeichnet wird. Demnach gibt es immer mehr Jugendliche, die ihre Ausbildung abbrechen, kleine Betriebe bilden immer seltener aus, Bezahlung und Betreuung der Lehrlinge ist generell schlecht. Doch lässt sich das wirklich so pauschal sagen?

Die Pressesprecherin der zuständigen Agentur für Arbeit in Freising, Christine Schöps, glaubt vielmehr, dass die Gründe dafür, ob jemand eine Ausbildung überhaupt beginnt oder frühzeitig abbricht, vielfältig sind - und vor allem sehr individuell. Manchmal können die Gründe etwa ganz banal sein, wie etwa der Umstand, dass ein Ausbildungsbetrieb nicht gut erreichbar ist. Für die Jugendlichen, von denen viele nicht über ein Auto oder einen Führerschein verfügen, sind sie damit nur schwer erreichbar. Schöps sieht dieses Problem vor allem in ländlicheren Regionen wie etwa dem Dachauer Hinterland. Denn Ausbildungsplätze würden nun einmal in der Regel lokal besetzt, so Schöps. Nur selten komme es vor, dass ein Lehrling für eine Stelle umziehe oder längere Fahrzeiten in Kauf nehme. Deshalb müsse man auch die freien Stellen differenziert betrachten. In Dachau ist der Dienstleistungssektor sehr ausgeprägt, entsprechend viele Ausbildungsplätze sind vorhanden. Ein paar freie Stellen müssten daher nicht immer unbedingt ein schlechtes Zeichen sein, sagt Schöps. Das Angebot sei einfach höher als die Nachfrage.

Auszubildende an der Berufsschule Dachau. (Foto: Niels P. Joergensen)

Doch was tut man dagegen, dass Jugendliche, die eine Lehre beginnen, diese nicht sofort wieder beenden? Idealerweise versucht die Agentur für Arbeit "pro-aktiv", also präventiv zu arbeiten. "Wir gehen schon früh in Schulen und bieten eine Berufsberatung an", sagt Schöps. Zudem versucht man, die Jugendlichen vorab für ein Praktikum zu begeistern. In dem können sie herausfinden, ob der Beruf, den sie sich ausgesucht haben, wirklich zu ihnen passt. Noch während der Ausbildung bietet die Agentur für Arbeit Beratungsgespräche und Nachhilfe an, wenn es mal nicht so gut läuft im Betrieb oder in der Berufsschule. Gänzlich vermeiden lasse sich ein Abbruch aber natürlich trotzdem nicht, erklärt Schöps.

Neben der Agentur für Arbeit sind es aber vor allem die Berufsschulen, die ihren Teil dazu beitragen können, dass die Jugendlichen nicht vorzeitig das Handtuch werfen. An der Berufsschule Dachau hätten seit Ausbildungsbeginn im September nur sechs Prozent frühzeitig abgebrochen, sagt Schulleiter Johannes Sommerer. Die Zahl habe sich zwar im Vergleich zu den Vorjahren leicht erhöht, sei aber nicht besorgniserregend. Sommerer führt das unter anderem darauf zurück, dass es an seiner Schule "keine Problemberufe" gebe. Gemeint sind Berufe wie Bäcker, Friseur oder Florist, die zurzeit am schlechtesten Nachwuchs finden.

Auch in einer modernen Kfz-Werkstatt kommt man ohne digitale Fachkenntnisse nicht weit. Hier demonstriert ein angehender Mechatroniker eine Achsvermessung. (Foto: Niels P. Joergensen)

An der Dachauer Berufsschule sind Berufe wie der des Kaufmanns oder Anlagenmechanikers gerade sehr gefragt. Entsprechend niedrig ist die Abbrecherquote. Sie liegt bei etwa fünf Prozent. Allein bei den Schreinern liegt sie mit fast 16 Prozent und bei den Malern und Lackierern mit zehn Prozent deutlich höher. Der Trend gehe eben zu den Büroberufen, die in der Regel auch besser bezahlt seien, sagt Sommerer. "Die Bindung zum Handwerk im frühkindlichen Alter ist kaum noch vorhanden." So erklärt sich Sommerer diese Tendenz. Eine Ausnahme bildet der Beruf des Schreiners. Der sei die Nachfrage recht hoch, gleichzeitig aber eben auch die Zahl der Abbrüche. Woran das liegt? Schreiner ist ein kreativer Beruf, aber gleichzeitig technisch enorm anspruchsvoll. Damit würden nicht alle Schüler rechnen, meint Sommerer.

Grundsätzlich ist der Schulleiter "sehr zufrieden" mit der aktuellen Entwicklung, denn immerhin könne er im Vergleich zum Vorjahr 35 Berufsanfänger mehr verzeichnen, insgesamt 241. Dass die Zahlen grundsätzlich zurückgingen, sei darauf zurückzuführen, dass sich wieder mehr Jugendliche für weiterführende Schulen oder ein Studium entscheiden würden. Eine Konkurrenz zu den Fachoberschulen (FOS) sieht Sommerer dennoch nicht, im Gegenteil. Außerdem strebten viele nach der Fachhochschulreife noch eine Ausbildung an. Für Sommerer ist die Hauptsache: Die Jugendlichen sollen ihren Weg finden.

Berufsschulleiter Johannes Sommerer und sein Lehrerkollegium bieten den Jugendlichen eine zukunftssichere Ausbildung auf höchstem Niveau. (Foto: OH)

Dass Flüchtlinge alle nicht besetzten Ausbildungsstellen in naher Zukunft besetzen und damit Lücken schließen könnten, glauben weder Sommerer noch Schöps. "Das erfordert noch einen längeren Prozess", sagt die Pressesprecherin der Arbeitsagentur. Vielen Geflüchteten fehlten die notwendigen Sprachkenntnisse, teilweise auch die Sachkenntnisse. Sommerer sieht die Lage ein wenig differenzierter: Die Zahl der Neuzugänge in den Berufsintegrationsklassen sei rückläufig, weil aufgrund der aktuellen Politik deutlich weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen als noch 2015. Zurzeit gebe es an seiner Berufsschule noch zehn Klassen mit je 15 bis 20 Geflüchteten. Sie absolvieren in den Integrationsklassen ein zweijähriges Programm, in dem sie vor allem die deutsche Sprache lernen. "Sprachförderung steht bei uns an erster Stelle", sagt Sommerer.

Zudem vermittele man den Schülern Werte und Normen der westlichen Gesellschaften, um ihnen die Integration zu erleichtern. Natürlich könne man durch diese jungen Menschen die Lücke nicht vollständig schließen, sagt Sommerer. Dennoch ist er überzeugt davon, dass die Arbeit mit den Jugendlichen wichtig und sinnvoll ist, auch für die deutsche Wirtschaft. Und der Erfolg gibt ihm Recht: Nach zwei Jahren in der Berufsintegrationsklasse haben rund 65 Prozent eine berufliche Perspektive.

Auch wenn es also manchmal so wirkt, als sei die Lage auf dem Ausbildungsmarkt prekär: Für immerhin die Hälfte der gemeldeten Bewerber im Landkreis Dachau konnte bis März ein passender Ausbildungsplatz gefunden werden. Allen, die bislang noch nicht fündig geworden sind, rät Schöps vor allem eines: "unbedingt dranbleiben". Es sei noch nicht zu spät für eine Bewerbung. Besonders gute Chancen haben im Landkreis jene, die sich als Kaufmann im Einzelhandel, Verkäufer, Lagerlogistik-Fachkraft, Kaufmann im Groß- und Außenhandel oder Handelsfachwirt ausbilden lassen wollen.

© SZ vom 16.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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