Legendär:Alles easy und chillig

Das Puch Open Air lockt Tausende Menschen aus Deutschland und dem Ausland auf die Schweinekoppel des Lehmair Hofs nach Jetzendorf. Das Festival wird erneut seinem Ruf als entspannte und friedliche Großveranstaltung gerecht

Von Andreas Förster, Jetzendorf

Wer Stammgast bei einem Musikfestival ist, das jedes Jahr auf einem stinkenden Schweineacker stattfindet, muss schon ein wenig verrückt sein. Aber er ist nicht allein. Um die 3000 Menschen kamen zur 29. Auflage des Indie-Rock-Fests bei Jetzendorf im Dachauer Hinterland. Die meisten waren schon vor zehn oder zwanzig Jahren da und bringen mittlerweile ihre Kinder mit. Zur Ehrenrettung der Besucher sei gesagt, dass Tage vor der großen Party die Schweinekoppel des Lehmair Demeter Hofs, so gut es geht, aufgeräumt und sauber gemacht wird. Ohnehin riecht es bald mehr nach Gegrilltem und unter den Apfelbäumen nach Heu und, ganz vereinzelt, ein wenig nach Gras.

Legendär: Die Sunns aus Montreal begeistern die Besucher des Puch Open Airs mit Psychedelic Rock.

Die Sunns aus Montreal begeistern die Besucher des Puch Open Airs mit Psychedelic Rock.

(Foto: Toni Heigl)

Das Gelände und vor allem die Trampelpfade sind so staubig, dass die Luft immer etwas dunstig ist. Das zeigt sich vor allem nachts, wenn Abertausende Staubpartikel im grellen Bühnenlicht tanzen. Zum Glück sind es keine Mücken. Trotz der Schlammsuhle, die zu einer richtigen Schweinekoppel dazugehört. Sie ist mit einem rot-weißen Baustellenband abgesperrt. Das wird aber zwei Pärchen nicht davon abhalten, sich in der Dämmerung in bester Woodstock-Manier und in Badeklamotten hineinzustürzen. In Woodstock war es der Regen, der zur legendären Schlammschlacht geführt hatte. Hier ist es wohl der Übermut. Die Stimmung ist so familiär friedlich, dass man sich in eine andere Welt, eine andere Zeit versetzt fühlt: Schaut her, es braucht keine große Security - wenn es eine gab, war sie unter den Besuchern nicht erkennbar. Die Besucher bringen eigene Picknickkörbe mit, gefüllt mit Baguette und Wein, mit Brezen und Bier. Eine große Pizza Margherita kostet nur fünf Euro, ein Teil des Essens ist vegan, Handyempfang gibt es nicht, dafür ist der Toilettenbesuch gratis. Okay, da riecht es wirklich wie im Schweinekoben, und als Frau braucht man viel Geduld in der Warteschlange, aber das scheint niemand groß zu stören.

Legendär: Mehr als tausend Menschen, viele Familien darunter, kamen wieder zu dem auch im Ausland bekannten Festival.

Mehr als tausend Menschen, viele Familien darunter, kamen wieder zu dem auch im Ausland bekannten Festival.

(Foto: Toni Heigl)

Die Kinder wuseln überall herum, sie spielen Gummi-Twist, mit Bällen oder einfach nur Fangen. Jede Altersgruppe ist vertreten, vom Baby bis zum Teenie. Anfangs tanzen viele vor der Bühne, manche sitzen am Bühnenrand, die Ohren gut geschützt mit hippen bunten Kopfhörern. Das geht so bis in die Abendstunden, ob es sinnvoll ist, hinterfragt hier niemand. Neben dem Eingang steht eine Wagenburg neben der anderen, hier haben sich viele Familien häuslich eingerichtet mit Zelten, Wohnmobilen und VW Bully. Einer davon ist Mike. Der 48-Jährige lebt auf Mallorca, geht seit 25 Jahren regelmäßig aufs Puch Open Air und trifft hier seine Freunde. Sie kommen aus München, Weilheim, Ludwigsburg und Peru. Sein Jugendfreund Max war schon 1992 das erste Mal dabei. Zu der wachsenden Gruppe gehören mittlerweile auch vier Kinder und ein Zwergspitz. Sie ist schon am Freitag angereist, haben immer denselben Stellplatz auf dem Gelände, auch ihre unmittelbaren Nachbarn kennen sie. "Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, immer nur da zu campen, wo man auch im Vorjahr schon war", erklärt Mike. Und alle halten sich daran.

Legendär: Um die 3000 Menschen kamen zur 29. Auflage des Indie-Rock-Fests bei Jetzendorf im Dachauer Hinterland.

Um die 3000 Menschen kamen zur 29. Auflage des Indie-Rock-Fests bei Jetzendorf im Dachauer Hinterland.

(Foto: Toni Heigl)

Die Musik spielt bei den Campern und einem nicht geringen Teil anderer Festivalbesucher offenbar nur eine untergeordnete Rolle. "Wir kommen auf jeden Fall, egal, wer spielt", sagen sowohl Mike und seine Freunde als auch Oliver Franke und Leszek Sailer. Sie kommen seit Jahren mit dem Fahrrad aus Petershausen, Franke schon seit 1989, als alles begann. "Man trifft hier Bekannte und Freunde und die Bands sind immer gut", sagt Franke. Sein Kumpel Tom fliegt jedes Jahr aus Dortmund ein. Ein anderer Stammgast ist ein alter Bekannter aus Dachau, Christian Salvermoser. Der Wirt der Musikkneipe Gramsci gehört mittlerweile zur Camperfraktion. "Das war früher oft so ein G'schiss mit dem Heimweg", erinnert sich der Gastronom und Open-Air-Kinoveranstalter. Jetzt kann er sich auch mal ein Bier mehr gönnen und muss sich keine Gedanken machen, wie er nachts aus der Einöde ins 20 Kilometer entfernte Dachau kommt. Fasziniert ist Salvermoser, der das Festival noch aus der Vor-Handy-Zeit kennt, vom Gemeinschaftsgefühl, das sich Puch über beinahe 30 Jahre erhalten hat. Ähnlich geht es Karina und Werner aus München. Sie war vor 20 Jahren zum ersten Mal da, er ist zum vierten Mal mitgekommen und findet, das Festival habe eine angenehm überschaubare Größe und sei sehr lässig.

Legendär: Veranstalter Peter Wacha (li.) und Gründer Lenz Lehmair.

Veranstalter Peter Wacha (li.) und Gründer Lenz Lehmair.

(Foto: Toni Heigl)

Das gilt nicht nur für die Veranstalter, den Münchner Booking-Agent und Gründer des Münchner Plattenladens Optimal, Peter Wacha, sowie Lenz Lehmair, Kopf der Indie-Band Animal Crackers. Dass es den beiden nicht ums Geld geht, merkt man auch an dem unauffälligen Merchandise-Stand, der sich rechts von der Bühne in eine Nische schmiegt. Um die Animal Crackers zu promoten war 1989 das Festival überhaupt ins Leben gerufen worden. Mit ihrem neuen Projekt "Drei Sekunden" sind Lehmair und Bandpartner Reiner Sladek 2018 wieder die Puch-Opener. Nach "Drei Sekunden" mit Songs, die wie eine Liebeserklärung an die Gegenwart klingen, folgt die deutsch-türkische Rapperin Ebow mit schnodderigem Mundwerk und teils deftigen Texten, aber etwas gebremster Energie. Dafür hat der Auftritt von "Die Nerven" umso mehr Kraft. Die dreiköpfige Noise-Metal-Band aus Stuttgart sorgt mit wuchtigen Gitarrenriffs, donnerndem Bass und Brüllgesang für ordentlich Druck. Die "Sunns" aus Montreal zeigen wieder eine ganz andere Seite der Indie-Alternative-Szene: Psychedelic-Rock mit Noise- und Elektro-Elementen. Angetrieben von einem sehr rhythmischen Schlagzeug klingen sie wie eine postmoderne Mischung der "Bloodhound Gang" und "Flock of Seagulls". Vor dem Headliner "The Notwist" aus dem benachbarten Weilheim ist die Sonne spektakulär hinter der Bühne verschwunden. Es ist Nacht und die Kinder tragen Leuchtbändchen. Langarmshirts werden übergestreift, die Hipster, und davon gibt es hier viele, ziehen ihre Käppis (Basecaps sind out) tiefer in die Stirn. Vor der Bühne drängen sie sich alle zusammen, die 1980er-Kultband wird ihnen mit ihrer mal kantigen, mal gefälligen Mischung aus Elektro, Jazz und Hardcore gehörig einheizen.

Danach lichten sich die Reihen etwas, die Erwachsenen sind jetzt unter sich. Nicht wenige werden bei DJ-Musik noch bis in die frühen Morgenstunden chillen. Puch ist seinem Ruf als familienfreundlichstes Festival Bayerns wieder gerecht geworden.

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