Süddeutsche Zeitung

Landvolkshochschule am Petersberg:Im Mittelpunkt steht immer der Mensch

Mathilde Hüttinger kam 1994 als pädagogische Referentin an den Petersberg. Mehr als zwei Jahrzehnte lang prägte sie die Entwicklung der Katholischen Landvolkshochschule maßgeblich mit. Nun geht die 63-Jährige in den Ruhestand

Von Johanna Hintermeier, Erdweg

Mathilde Hüttingers Blick wandert über die sattgrüne Wiese südlich der 900 Jahre alten Basilika auf dem Petersberg. An diesem verregneten Tag im Juni ist das Gras nass. An trockenen Sonnentagen aber, erzählt die 63-Jährige, da spielen sie hier Fangermandel mit Familien oder machen Bodypainting. Mathilde Hüttinger lächelt. "Dieser Ort ist Teil unserer Bildungsarbeit hier - eine Oase der Ruhe und des Rückzugs".

Hüttinger schlendert über das am Hang liegende Gelände der Katholischen Landvolkshochschule Petersberg (KLVHS), ihre kurzen roten Haare lassen sie jung erscheinen. 1994 kam sie als pädagogische Referentin an den Petersberg und führte das Haus und die Arbeit der Volkshochschule für Menschen im ländlichen Raum in das 21. Jahrhundert. Bis heute ist sie für das vielfältige Bildungsangebot für Erwachsene mitverantwortlich.

Die KLVHS rang damals um ihre Zukunft als Bildungsinstitution. Das sogenannte Obere Haus wurde nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet und beherbergte jahrzehntelang junge Frauen, die für neunwöchige Grundkurse zur Landvolkshochschule kamen. Einige Grundkurse begleitete die damalige Berufseinsteigerin noch als Referentin; heute würde man sagen, dass sie in den Neunzigern bereits ein Auslaufmodell waren, denn die Interessentinnen fehlten. Die Schule am Petersberg bemühte sich um ihre Stellung und suchte nach neuen Aufgaben, mittendrin Mathilde Hüttinger. Drei Jahre, sagt sie, habe sie an endlosen Konzepten, Ideen und Umstrukturierungen geschrieben. Ein Anliegen war ihr, den Petersberg auch für männliche Teilnehmer und Referenten zu öffnen: "Wir mussten doch mit der Zeit gehen", so Hüttinger: "Irgendwann bin ich zu meinem damaligen Chef gegangen und habe gesagt: 'Bitte, lassen sie mich etwas machen, worin ich erfolgreich bin.' - Und ich wusste auch schon, was ich wollte: Familienbildung und Persönlichkeitsentwicklung." Bis heute sind dies Grundpfeiler des Hauses. Seit geraumer Zeit stand damals der Bau des Unteren Hauses der Landvolkshochschule an. Hüttingers Ideen flossen so in die Architektur des Neubaus ein, acht Zimmer für Familien wurden gebaut und im Jahr 2000 fertiggestellt.

Mathilde Hüttinger war seinerzeit selbst eine junge Mutter, die erste, die damals in Teilzeit mit einer 30-Stunden-Woche am Petersberg angestellt wurde. "Mein Mann und ich haben Rollen getauscht, er hat auf die Kinder aufgepasst und ich bin arbeiten gegangen." Es schwingt Stolz in der Stimme mit. Mathilde Hüttinger ist eine Frau, die nie davor zurückgeschreckt ist, neue Wege zu beschreiten. Ihre neuen Aufgaben für Bildungsarbeit mit Familienschwerpunkt entwickelte sie selbst, in ihren Ferien ging sie auf Fortbildungen. Viele ihrer beliebtesten Seminare für Mütter und ihre pubertierenden Töchter, biografisches Tanzen, aber vor allem persönliche Selbstreflexionen, entstanden auf Vorschlag von Seminarteilnehmern.

"Ich orientiere mich bei der Auswahl der Themen, aber auch im Seminar selbst an den Menschen und frage immer: "Was braucht ihr?" In ihrer Rolle als Leiterin von Seminaren habe sie sich immer wieder neu einfinden müssen, reflektiert Hüttinger. Eine Teilnehmerin habe einmal zu ihr gesagt: "Mathilde, du bist wie eine Mohnblume im Kornfeld. Du bewegst dich mit uns, aber hast doch deine eigene Rolle in der Gruppe." Die Sozialpädagogin findet Gefallen an solchen Bildern, sie verwendet selbst Metaphern um die Bedürfnisse und Wünsche der Petersberg-Besucher zu beschreiben. Mathilde Hüttinger geht es weniger um inhaltliches trockenes Lernen, sondern darum, sich als Mensch kennenzulernen, zu fühlen und frei sein zu können. "Hier kann sich jeder frei erfinden - das Kind in sich entdecken" - lustvolles Lernen, nennt sie das. Immer wieder arbeitet sie mit externen Referenten am Petersberg, für Clown-Seminare zum Beispiel. Mathilde Hüttinger hat viel bewegt und viele Etappen der KLVHS begleitet. Ein wenig müde sei sie jetzt und froh, nicht noch weitere Veränderungsprozesse am Petersberg aktiv mitgestalten zu müssen. Teilweise empfindet sie den wirtschaftliche Druck und die permanente Bildungsarbeit als belastend: "Manchmal hat man fast das Gefühl, dass die Kraft fehlt, die Menschen und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt hier zu stellen". Alle paar Jahre merke man zudem, dass bestimmte Seminarangebote nicht mehr funktionierten.

In einem Programmheft der KLVHS aus dem Jahr 1996, mit der Schreibmaschine getippt und fotokopiert findet man Kurse mit dem Namen: "Einheiraten - ein Ehevorbereitungswochenende für Paare in und aus der Landwirtschaft." Mathilde Hüttinger lacht: "Das haben wir heute immer noch, heißt aber mittlerweile anders". Die Gesellschaft und Zeit dreht weiter und doch wird klar, dass eine Landvolkshochschule Bildungsangebote für Menschen aus dem ländlichen Raum schafft, die auch in einer globalisierten Internetwelt noch die Lebensrealität vieler Menschen berührt.

Das ständige Weiterentwickeln und Anpassen - das hat Hüttinger ein Leben lang an sich selbst und in ihrer Arbeit nicht gescheut. Am Älterwerden genieße sie vor allem die Selbstsicherheit und Ruhe, die sie mittlerweile ausstrahle: "Ich muss mir nichts mehr beweisen, ich ernte jetzt die Früchte meiner gesammelten Erfahrung", so Hüttinger. In der Rente will sie jetzt vor allem eins: Zeit für sich und ihre Familie. Das erste Enkelkind ist gerade sieben Monate alt. Aber sie will auch selber in Seminare gehen, dann aber als Teilnehmerin. Mittlerweile regnet es wieder. Mathilde Hüttinger blickt aus ihrem Büro auf die Basilika, ein bisschen Wehmut schwingt in ihrer Stimme. Und man ahnt, dass ihre Abwesenheit eine Lücke hinterlassen wird, hier am Petersberg.

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Quelle:
SZ vom 18.06.2020
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