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Landtagswahlen: Cem Özdemir kam schon zu früheren Wahlkämpfen nach Dachau. Das erste Mal allerdings kam er als Schüler zum Besuch der KZ-Gedenkstätte.

Cem Özdemir kam schon zu früheren Wahlkämpfen nach Dachau. Das erste Mal allerdings kam er als Schüler zum Besuch der KZ-Gedenkstätte.

(Foto: Toni Heigl)

Bundestagsabgeordneter Cem Özdemir unterstützt die Dachauer Grünen im Wahlkampf. Er freut sich über die guten Umfragewerte, bedauert aber den Bedeutungsverlust der großen Parteien als potenzielle Koalitionäre.

Von Viktoria Großmann, Dachau

Cem Özdemir ist Schwabe. Als solcher wird er nicht gleich übermütig, nur weil die Grünen in Bayern bei der Landtagswahl bis zu 18 Prozent erreichen könnten. Außerdem haben sie in seiner Heimat Baden-Württemberg bei der Landtagswahl 2016 mehr als 30 Prozent erreicht. Da ist noch Luft nach oben. Özdemir, früher Parteivorsitzender ist jetzt nur noch Bundestagsabgeordneter. Gerade reist er durch Bayern und unterstützt die Grüne Basis im Wahlkampf.

Thomas Kreß und Anton Speierl sind sichtlich angetan von soviel prominenter Wahlkampfhilfe. Stadtrat Kreß kandidiert erstmals für den Landtag. Anton Speierl, Aktiver beim Anti-Startbahn-Bündnis Aufgemuckt und Psychiater will in den Bezirkstag. Erst Robert Habeck im Volksfestzelt im August, nun Cem Özdemir. Die Grünen wollen der CSU auch beim Aufbieten von prominenten Gesichtern in nichts nachstehen. Seit dem Habeck-Auftritt ist die Zahl der Grünen-Mitglieder im Landkreis auf mehr als 70 gestiegen. Vorher waren es 65.

"Es gibt keine Gegenkundgebung vom Bauernverband mehr, wenn wir irgendwo hinkommen"

Der Erfolg der Grünen liege auch daran, dass nun alle Ebenen in der Partei so gut zusammenarbeiten, sagt Özdemir. Er nimmt am Tisch im Nebenraum des Zieglerbräu in der Dachauer Altstadt Platz und zieht zwei kleine grüne Lebkuchenherzen aus den Taschen, ein Grünes Wahl-Geschenkchen. Die hat er am Oktoberfest mitgenommen. Nur die zwei, für daheim. Nach dem Termin in Dachau geht es in den Münchner Norden, dort gibt es am Abend noch ein sogenanntes Townhall-Gespräch. Auf kommunaler Verwaltungsebene nennt man so etwas Bürgersprechstunde. In Dachau war Özdemir bereits als Realschüler mit seiner Klasse zum Besuch der KZ-Gedenkstätte.

Özdemir ist ein Grüner der ersten Stunde, seit 1981 Parteimitglied. Dass sich die Stimmung zugunsten der Grünen in Bayern gedreht hat, kann er nicht nur an Zahlen festmachen. "Es gibt keine Gegenkundgebung vom Bauernverband mehr, wenn wir irgendwo hinkommen", sagt Özdemir. Die Leute hörten zu. Gerade in Bayern, wo es noch viele kleinere und mittlere bäuerliche Familienbetriebe gebe, stoßen die Grünen auf Verständnis und offene Ohren. Noch zwei Themen bringen die Grünen den Menschen auf dem Land mit: schnelles Internet und besseren Nahverkehr. Das stärke auch Mittelständler, die auf gute Internetverbindungen angewiesen sind. Özdemir wundert sich über die vielen Funklöcher in Bayern. Er benenne sie gerne nach CSU-Verkehrsministern: das Ramsauer-Funkloch, das Dobrindt-Funkloch, das Söder-Funkloch.

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Özdemir registriert, dass auch CSUler zu Grünen-Veranstaltungen kommen

Die Grünen seien keine Verbotspartei, sagt Özdemir. "Wir nehmen nicht den Menschen die Autos weg." Özdemir glaubt nicht, dass die Dieselfahrverbote in den am meisten von Feinstaub belasteten Städten vom Tisch sind. München ist auf der Liste die unrühmliche Nummer 1. Mit dem Kompromiss, der nun geschlossen wurde, sagt Özdemir, passiere zu wenig. Er sagt nicht: Stoppt den Flächenfraß. Özdemir sagt: "Wir sind nicht diejenigen, die Gewerbe aus den Innenstädten verbannen." Die Verbindung von Gewerbe und Wohnen sei "ur-grün". Jetzt kämen viele Händler aus ausgestorbenen Innenstädten "in Scharen" zu den Grünen, weil sie merkten, dass die räumliche Trennung der Lebenswelten ihrem Umsatz nicht gut tue.

Eine wachsende Menge mag den Grünen freundlich gesinnt sein oder offen dafür, ihnen zuzuhören. Özdemir registriert, dass auch CSUler zu Grünen-Veranstaltungen kommen. "Besonders Frauen." Doch auf der anderen Seite wächst der Hass. Gerade auch persönlich gegen ihn, das Kind türkischer Immigranten. Im Netz, aber auch auf Veranstaltungen wird Özdemir, wie er in Dachau erzählt, heftig angegriffen. Von fremdenfeindlich gesinnten genauso wie von radikalen Erdoğan-Anhängern. "Weniger Menschen haben eine Scheu, sich mit ihrem Namen zu solchen Angriffen zu bekennen". Wohl, weil sie Eindruck haben, es sei normal, so zu reden.

Respekt zollt Özdemir hingegen der im Niedergang begriffenen SPD

Gegen diese Verschiebung des Sagbaren, des Tolerierten geht Özdemir auch im Bundestag vor. "Wir dürfen uns nicht gewöhnen an die Verrohung der Sprache." Man dürfe der AfD den Patriotismus nicht überlassen. Was solle man von einer Partei halten, die Deutschland nur schlecht rede und nach deren Meinung es nichts Gutes gebe in diesem Land.

Respekt zollt Özdemir hingegen der im Niedergang begriffenen SPD. "Das letzte Mal, als ich in der Politik Tränen in den Augen hatte, das war bei der Feier zum 150-jährigen Bestehen der SPD." Dabei sei das Ton-Dokument zum Ermächtigungsgesetz abgespielt worden. Nur die Sozialdemokraten hatten damals im März 1933 gegen das Gesetz gestimmt, das alle Macht in die Hände Adolf Hitlers legte.

Der Bedeutungsverlust der einstmals großen Parteien, auch der CDU und der CSU, bereite ihm Kopfschmerzen. "Wir brauchen Partner. Allein werden wir nicht regieren." Wenn die Partner schwächer werden und stolpern, dann könne einen das nicht glücklich machen, ganz im Gegenteil. Er spricht von der großen Sorge, die ihn umtreibt, wenn er sieht, dass in manchen Bundesländern nach aktuellen Umfragen fast alle Parteien sich zusammenschließen müssten, um eine AfD in der Regierung zu verhindern. Das bestärke diese zudem in ihrem Urteil, die anderen seien alle gleich. Dabei sei die Meinungsvielfalt zum Glück groß.

Nur in einem seien sich die demokratischen Parteien einig: in ihrer Loyalität zu Deutschland und Europa - im Unterschied zu einer Loyalität zu Staatssystemen wie denen Russlands oder der Türkei. "Unsere Loyalität gilt dem liberalen Rechtsstaat und nicht der autoritären Gesellschaftsordnung." Auch wenn es im Wahlkampf im Bierzelt mal polemisch zuginge: "Demokratische Mitbewerber sind Konkurrenten und keine Feinde."

Doch etwas hebt die Grünen, zumindest noch, von den großen und ehemals großen Parteien ab: "Das gehört dazu, dass man es nicht jedem recht machen kann", sagt Cem Özdemir. Andere haben es versucht - und scheitern damit kläglich.

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