Süddeutsche Zeitung

Landtagswahl:Pragmatische Wadlbeißerin

Martina Purkhardt, Landtagskandidatin der Freien Wähler, kämpft für mehr praktischen Nutzen in der Politik

Von Viktoria Großmann

Als Martina Purkhardt im Jahr 2009 das erste Mal zu einer Gemeinderatswahl in ihrem Heimatort Schwabhausen antrat, zählte sie vorher, wie viele Menschen sie kennt und wer ihr vielleicht seine Stimme geben könnte. Es wurden dann viel mehr. Um nur wenige Stimmen verpasste sie den Einzug in den Gemeinderat. Zwei Jahre später rückte sie nach. Noch einmal zwei Jahre später kandidierte sie für die Freien Wähler für den Landtag. In diesem Herbst versucht sie es erneut. Zählen kann sie ihre potenziellen Wähler nun nicht mehr. "Ich denke, die Chancen stehen fifty-fifty", sagt die 36-Jährige.

Mit ihr haben sich die Freien Wähler, die sich mit der CSU ein Rennen liefern könnten, wer konservativer ist, eines der begehrten jungen, weiblichen Gesichter geholt. Purkhardt will, dass die Gemeinden im Ballungsraum München bei allem Wachstum "ländlich" bleiben. Sie ist für Nachverdichtung, aber nicht für große Wohnblocks. Sie steht wie alle Freien Wähler für die Ablehnung der Dritten Startbahn am Flughafen München. Sie will einen bezahlbaren und funktionierenden Nahverkehr: "Die zweite Stammstrecke kommt mindestens zehn Jahre zu spät". Und sie will kostenfreie Kindergärten.

In einigen Themen gibt es klare Gemeinsamkeiten mit den Grünen und der SPD. "Ja", sagt sie zögerlich und überlegt, "aber die Beweggründe sind andere". Zum Beispiel bei der dritten Startbahn. Hier steht für die Freien Wähler weniger die Flächenverschwendung als die Geldverschwendung im Vordergrund. Geldverschwendung sehen die Freien Wähler grundsätzlich an vielen Stellen. Daher machen sie sich auch wenig Sorgen, wie ihre teils kostspieligen Forderungen umgesetzt werden sollen. "Das Geld ist da. Es muss nur richtig eingesetzt werden."

Die Sparkassen-Angestellte, tief verwurzelt in Schwabhausen, wo sie aufgewachsen ist, steht für den Pragmatismus der Freien Wähler und für deren Skepsis gegenüber allem, dessen praktischer Nutzen nicht auf den allerersten Blick ersichtlich wird. "Wir sollten weniger über Weltraumpolitik und Flugtaxis reden, sondern lieber über verspätete S-Bahnen", sagt Purkhardt. "Der CSU fehlt der Bezug zur Bevölkerung." Sie setze die falschen Prioritäten. Grundsätzlich aber, sagt sie, verbindet die Freien Wähler mit der CSU natürlich die Liebe zu Bayern, zur Tradition und vor allem das Hochhalten christlicher Werte. Für eine Regierung der beiden Parteien wird es nach derzeitigen Prognosen nicht reichen. Aber Purkhardt findet, die Rolle als "Wadlbeißer" in der Opposition stehe den Freien Wählern ohnehin gut. Auch wenn es bedauerlich sei, dass es die stolze CSU es niemals übers Herz bringe, einfach mal einem FW-Vorschlag zuzustimmen. Stattdessen müssten die Anregungen der anderen immer erst von der CSU aufgenommen und als eigene Idee wieder vorgelegt werden. Eine häufig und nicht nur von den Freien Wählern geäußerte Klage. "Dadurch verlieren wir viel Zeit."

Dafür gelang den Freien Wählern ausgerechnet in diesem Wahljahr ihr wohl größer Coup: Die Abschaffung der Straßenausbaubeitragssatzung. Purkhardt klingt noch immer überwältigt, wenn sie von Veranstaltungen spricht, zu denen 800 Leute kamen und davon, wie leicht sich die Unterschriftenlisten für das Volksbegehren füllen ließen.

Wie sollen die Kommunen nun zurecht kommen, ohne die Beiträge für den Straßenbau von den Anwohnern? "Das Geld muss besser nach unten durchgereicht werden", sagt Purkhardt. Selbes gilt für sie für Kitas, Wohnungsbau und die Versorgung Geflüchteter. Vor allem der geförderte Wohnungsbau liegt ihr am Herzen. "Da geht es nicht nur um Sozialhilfeempfänger." Es gehe um den Bau von Wohnungen auch und gerade für Menschen, die arbeiten, aber damit zu wenig Geld verdienen. Für das Anliegen, ihnen zu helfen, hat sich Purkhardt im Gemeinderat auch gegen ihre Fraktion gestellt. Die FW in Schwabhausen waren dagegen, sich in die Wohnungsbaugesellschaft des Landkreises Dachau (WLD) einzubringen. Günstig bauen könne man selbst, hieß es. "Das ist aber über Jahre nicht passiert", sagt Purkhardt. In der Abstimmung hob sie die Hand für den Beitritt Schwabhausens zur WLD - und gab damit die entscheidende Stimme ab. Im Landtag will sie sich mit den FW dafür einsetzen, dass Kommunen keine Grunderwerbssteuer zahlen müssen, wenn sie Grundstücke für den Wohnungsbau erwerben.

In ihrer Familie ist Purkhardt die erste und weiterhin die einzige, die sich politisch engagiert. Freunde und Bekannte zum Mitmachen zu bewegen, das gelinge am ehesten in Wahlkampfzeiten. Insgesamt spürt auch sie im Vergleich zum Wahlkampf 2013 mehr Interesse der Wähler und gleichzeitig eine stärkere Abgrenzung. Wer zum AfD-Stand gegenüber gehe, schaue nicht zu ihr her. Ein Interessierter am FW-Stand würde keine AfD-Broschüre in die Hand nehmen, so ihre Beobachtungen. Gleichzeitig seien die Leute bereit, sich eingehender mit den Parteien auseinander zu setzen. "Viele fragen nach einem ausführlichen Wahlprogramm." Nach den Erfahrungen von 2013 hatten die FWler an ihren Ständen anfangs gar nicht genügend gedruckte Exemplare dabei.

Flüchtlinge sind nicht Purkhardts vorrangiges Thema, darauf angesprochen, erklärt sie: "Schutzsuchende sind willkommen." Die Zuwanderung sei wichtig, um dem Fachkräftemangel und Personalmangel etwa in der Pflege zu begegnen. Gut gefällt ihr das kanadische Punktesystem, das die Fähigkeiten eines Einwanderers bewertet. Den ehrenamtlichen Helfern, die staatliche Aufgaben übernehmen, zollt sie großen Respekt. Um den Menschen ein besseres Sicherheitsgefühl zu vermitteln, könne die Polizei noch besser ausgestattet und präsenter sein. Doch, so sagt sie deutlich, "keiner hier hat einen Nachteil davon, dass Asylbewerber kommen." Purkhardt hofft, dass sich bei der Landtagswahl noch ein paar Protestwähler, die der CSU einen Denkzettel geben wollen, für die Freien Wähler entscheiden. Nur eines, sagt sie bedauernd, wird wohl nur einer Partei glücken: "Nichtwähler aktiviert nur die AfD."

Purkhardts Tagesablauf hat sich verändert, seit sie außer Gemeinderätin und Kreisrätin auch noch Landtagskandidatin ist. Ihr Mann müsse sich zu Hause jetzt ein bisschen mehr einbringen, sagt sie. Wenn es diesmal mit dem Einzug in den Landtag klappt, wird sie ihren Beruf in der Sparkasse aufgeben oder stark zurück fahren müssen. Und wenn nicht? Engagiert sie sich weiter im Lokalen. "Einer muss es ja machen", sagt sie und lacht.

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Quelle:
SZ vom 28.09.2018
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