Landtagswahl 2018:Die Jugend wählt Rot-Rot

Bei einer Diskussionsveranstaltung stellen sich die Direktkandidaten den Fragen von jungen Menschen

Von Clara Nack und Anna-Elisa Jakob, Dachau

- Sie kommen mit Blöcken voller Fragen in das Pfarrheim Mariä Himmelfahrt in Dachau. Andere greifen an den Tischen, die im Saal stehen, zu Stift und Papier. Viele Jungwähler besuchen die Diskussionsveranstaltung mit den Direktkandidaten der Landtagswahl. Einige durften ihre Stimme schon bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr abgeben, 20 Jahre und älter sind sie. Aber vor allem Erstwähler und auch Jüngere, die noch nicht wählen dürfen, sollen an diesem Abend die Landtagskandidaten mit Fragen löchern. Moderator Robert Siegl vom Kreisjugendring Dachau (KJR), der "Die Qual der Wahl" veranstaltet, mahnt: "Wählen ist etwas anderes, als bei Lieferando zu bestellen - da tut der Magen nämlich fünf Jahre weh."

Welche Politiker finden bei den Jugendlichen den richtigen Ton? Die Jungwähler hören bei der Einführungsrunde aufmerksam zu. Anschließend diskutieren sie in Gruppen, welche Fragen sie den Direktkandidaten im Gespräch stellen möchten. Für jeweils zehn Minuten nehmen die Politiker an den Tischen Platz und stellen sich den Fragen der Jugendlichen. Die Begriffe Bildung, bezahlbarer Wohnraum, Digitalisierung und öffentlicher Nahverkehr fallen in fast jeder Runde.

Doch die Jugendlichen treiben auch individuelle Themen um: Wie kann das Ehrenamt gestärkt werden? Wie bewerten die Politiker das neue Polizeiaufgabengesetz? Welche Konzepte sehen sie zur Inklusion vor? Eine Diskussionsteilnehmerin erzählt vom Schulalltag ihrer Schwester, die eine leichte Behinderung hat. Oft sei dieser verwehrt worden, ihre Betreuerin in bestimmte Unterrichtsstunden mitzunehmen. Wie wollen die Politiker die Inklusion an Regelschulen stärker vorantreiben? "Es ist mir wichtig, dass meine Schwester nicht auf eine Sonderschule gehen muss, wenn sie doch eigentlich vollkommen fähig wäre, mit anderen Kindern am normalen Unterricht teilzunehmen", sagt sie.

Die Politiker haben sich etwas überlegt, um bei der jungen Wählerschaft zu punkten: Bernhard Seidenath (CSU) gibt allen Anwesenden im Saal zur Begrüßung die Hand. Christoph Steier (AfD) bietet den jungen Erwachsenen sofort das Du an, wünscht sich eine "unvoreingenommene Debatte" und sagt: "Hier steht nicht Björn Höcke, sondern Christoph Steier." Jonathan Westermeier (Die Linke), mit 25 Jahren der Jüngste der Runde, gibt sich hingegen gelassen: Mit einem lockeren "Hi, ich bin der Jonathan" begrüßt er die jungen Wähler und erklärt seine Ziele, von Bildungs- bis Drogenpolitik. Hier schließt Thomas Kreß (Grüne) an - die Kriminalisierung von Cannabis würde er nicht befürworten. Und wirft im nächsten Satz schnell nach: "Aber wer zu viel kifft, wird irgendwann dumm." Vor allem mit Vorschlägen zur Bildungspolitik möchten die Kandidaten überzeugen. Der ehemalige Lehrer Martin Güll (SPD) baut auf simple Erklärungen und seine langjährige Expertise in diesem Bereich. Martina Purkhardt (Freie Wähler) erzählt von ihrem Engagement in der Jugendarbeit in Schwabhausen - hier würde sie häufig in den Kletter- und Trampolinpark gehen. Den Dachauer Orthopäde Frank Sommerfeld (FDP) hat die Politikverdrossenheit seiner Patienten zur Landtagskandidatur bewegt. Bei den Jungwählern möchte er früher ansetzen.

Die Jungwähler erkennen Widersprüche in den politischen Zielen der Kandidaten: Wie können Grünflächen erhalten und gleichzeitig genug Wohnraum geschaffen werden? Wie werden die ganzen Vorhaben finanziert? Als AfD-Kandidat Steier eine Frage zur Flüchtlingspolitik beantwortet, widerspricht ihm eine 18-jährige Diskussionsteilnehmerin. Steier stellt sich vor, Flüchtlingen solle in ihren Herkunftsländern ein Visum ausgestellt werden, mit dem sie dann nach Deutschland - nach dem Vorbild des kanadischen Punktesystems - einreisen dürfen. Bei den Jugendlichen macht sich angesichts dieser Aussagen Unverständnis und Irritation breit. Einen Visumsantrag in einem Kriegsland wie Syrien zu stellen sei völlig unrealistisch.

Bei der Frage "wie können Bauspekulationen gestoppt werden?" entweicht dem erfahrenen CSU-Politiker Bernhard Seidenath ein überfordertes Schnaufen, FDP-Kandidat Sommerfeld hingegen antwortet, ohne zu zögern: "Gar nicht." Am Nebentisch freut sich Jonathan Westermeier über eine Frage zur Digitalisierung: "Nice, danke für die Steilvorlage." Die Politiker im persönlichen Gespräch zu erleben, bewerten die jungen Leute als wichtige Erfahrung. So könne man die Menschen "hinter der überlegten Rede" kennenlernen, meint der 23-jährige Maximilian Steinert. Die 22-jährige Magdalena Eisenmann sagt, dass spürbar werde, welche Themen den Politikern wirklich am Herzen lägen.

Am Ende der Veranstaltung dürfen die Jungwähler abstimmen, welche Kandidaten sie am meisten überzeugen konnten. Die Gewinner des Abends ist Martin Güll (SPD) mit 29 Prozent. Jonathan Westermeier (Die Linke) und Martina Purkhardt (Freie Wähler) folgen mit jeweils 24 Prozent. Für CSU-Kandidat Seidenath gab es elf Prozent der Stimmen, AfD und Grüne kamen auf fünf Prozent - Sommerfeld von der FDP erzielte drei Prozent.

Am Ausgang des Pfarrheims warten 15 Herren in dunkelgrauen Anzügen, mit roten Krawatten. Sie sind von der Satirepartei "Die Partei". Wenn man es ernst meine, müsse man auch ernst aussehen, erklären sie. Im Vergleich dazu sind die anderen Parteien mit einem Vertreter plus Jugendgruppe etwas dürftig ausgestattet. Die Jugendlichen haben hier die Möglichkeit, sich mit allen Politikern noch einmal auszutauschen. Auch die kleinen Parteien, die nicht an der Diskussionsrunde teilnehmen durften, sind vertreten. Die Jugendlichen erhalten Flyer, Sticker und Stifte. Diese können sie an Freunde verteilen, die noch zum Wählen motiviert werden müssen.

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