Süddeutsche Zeitung

Traditionelle Wirtshäuser:Vom Aussterben bedroht

Immer mehr Wirtshäuser müssen schließen, weil der Nachwuchs fehlt. Außerdem feiern viele Menschen mittlerweile lieber im Privaten. Doch es gibt auch engagierte Jungwirte, die die Wirtshauskultur am Leben erhalten.

Von Benjamin Emonts, Dachau

Das Dorf Großberghofen ist seit zwei Jahren nicht mehr ganz das, was es einmal war: Seit August 2018 ist das traditionsreiche Wirtshaus geschlossen, der gesellige Mittelpunkt der Ortschaft. Am Stammtisch, neben dem grün gekachelten Ofen, sitzen seither nicht mehr die Bauern, Handwerker und Lokalpolitiker. Der ehemalige Landtagsabgeordnete Blasius Thätter erzählt nicht mehr seine Geschichten über den großen Brand oder die Nachkriegszeit in dem Dorf. Die Familien kommen sonntags nicht mehr, um den Schweinsbraten mit Dunkelbiersoße und Semmelknödel zu bestellen. Ihnen allen fehlt die holzvertäfelte Wirtsstube in Großberghofen. Mit ihrer Schließung ist auch ein Stück Heimat verloren gegangen. Die jahrhundertelange Tradition des Wirtshauses wurde 2018 jäh unterbrochen. Die Wirtsleute Zachskorn gingen von Großberghofen in den Nachbarort Erdweg, wo sie ein altes Lagerhaus restauriert haben und ein Hotel mit Café betreiben. Für die Gemeinde mag das ein Gewinn sein. Großberghofen aber, und dieses Schicksal teilt es mit vielen anderen Dörfern im Landkreis, hat mit seinem Wirtshaus ein Stück Identität und Lebendigkeit verloren. Auch wenn es traditionsreiche Wirtshäuser im Dachauer Umland noch gibt: Besonders im ländlichen Raum sterben immer mehr Wirtshäuser aus. "Sie müssen ja nur über die Dörfer fahren, um zu sehen, wie viele Gasthäuser es nicht mehr gibt", sagt der Bergkirchner Wirt und Kreisvorsitzende des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes Michael Groß.

Tatsächlich finden sich geschlossene Wirtshäuser überall im Landkreis: Mitten in Odelzhausen beispielsweise hat seit März 2019 das Gasthaus zur Sonne geschlossen, ein Familienbetrieb mit 180 Jahre langer Tradition. Die Familie Willibald machte sich die Entscheidung nicht leicht, doch die Tochter entschied sich letztlich für ihren Beruf als Grafikdesignerin. Die Ortschaft Westerholzhausen bei Markt Indersdorf muss seit Dezember 2018 auf ihr Wirtshaus Dafelmaier verzichten, weil der Gastwirt aus Altersgründen nicht mehr weitermachen konnte und keinen Nachfolger fand. Ebenfalls im vergangenen Jahr machte nach 70 Jahren die Traditionsgaststätte Waldfrieden in Deutenhofen bei Hebertshausen dicht, nachdem der Besitzer keinen Wirt mit bayerischer Küche gefunden hatte, der sich auf einen längeren Vertrag einlassen wollte. Die Liste der geschlossenen Traditionshäuser ließe sich locker noch eine Weile fortführen.

Was sind die Gründe für das Wirtshaussterben im Landkreis Dachau?

Doch was sind die Gründe? Ein Betroffener, der anonym bleiben will, sagt: "Die Wirtshauskultur wird nicht mehr wirklich gelebt. Es geht keiner mehr zu einem Stammtisch, oder einfach mal auf ein Bier in ein Wirtshaus. Besonders auf dem Land ist es so, dass sich jeder seine eigene Insel baut mit Einfamilienhaus, Partykeller, Heimkino und Pool. Da muss man das Haus ja nicht mehr verlassen." Die Dachauer Kreisheimatpflegerin Birgitta Unger-Richter sieht den Beginn des Wirtshaussterbens indes bereits in den Siebziger- und Achtzigerjahren. Viele Vereine hätten damals ihre eigenen Vereinsheime gebaut, in denen sie ihre Sitzungen und geselligen Vereinsabende abhielten. Die Wirte habe das Kundschaft und Umsatz gekostet. Bis heute sei das ein Problem. Auch Unger-Richter beobachtet außerdem, dass immer mehr Menschen ihre Feiern "ins Private verlegen". Wirtechef Michael Groß teilt diese Einschätzung. Große Feiern wie Geburtstage, Hochzeiten oder Taufen würden inzwischen immer öfter in von den Gemeinden subventionierten Locations wie Bürger- und Feuerwehrhäusern oder Schützenheimen begangen. Dabei seien gerade Einnahmen aus größeren Feiergesellschaften für die Wirte notwendig, weil sie von Dorfbewohnern und Stammtischbesuchern allein kaum überleben könnten.

Als anderes großes Problem sieht Groß den Mangel an Nachwuchs. Viele Nachkommen hätten keine Lust, die heimische Gastronomie zu übernehmen. Um einen Betrieb rentabel zu führen und auch zu halten seien schließlich viel Mühe und Fleiß nötig, die nicht jeder bereit sei, aufzubringen. "Es braucht viel Aufwand und Ausdauer, um es allen Leuten Recht zu machen." Und nun stellt auch noch die Pandemie die Wirte vor große Probleme. Die meisten versuchen, sich mit Biergartenbetrieb und Gerichten zum Mitnehmen über Wasser zu halten. Doch die Ungewissheit schwebt über allem. "Wir wissen nicht, wie es weiter geht", sagt Groß. "Aber wir stecken den Kopf nicht in den Sand."

Groß will keinesfalls alles schlecht reden. Schließlich, darauf weist er hin, gibt es die Wirtshauskultur im Landkreis noch, auch weil sich junge Menschen engagieren. Als Beispiel nennt er etwa den Gasthof Wallner in Prittlbach. Dort hat der Junior Georg Wallner übernommen, der kulinarisch weit herumgekommen ist. Er bietet bodenständige bayerische Küche, die sehr gut angenommen wird. Ein anderes Beispiel ist der Gasthof der Brauerei Kappler in Altomünster, das in dritter Generation von der Familie Wiedemann geführt wird. Dort haben die drei Söhne übernommen: als Gastgeber, Braumeister und Küchenchef. Sie lassen sich einiges einfallen, vom Imagefilm auf der Homepage bis hin zu verschiedenen Bierkreationen. Die Brauereien im Landkreis, das zeigt sich generell, haben meist auch laufende Gastronomien, wie etwa der Maierbräu in Altomünster oder die Odelzhausener Schlossbrauerei mit ihrem Bräustüberl.

Wieder aufgeblüht ist die Wirtshauskultur in Erdweg

In größeren Ortschaften mit Tourismus haben es die Wirtshäuser erfahrungsgemäß leichter. In Dachau etwa halten sich der Stadtkeller oder der Gasthof Drei Rosen, die in den schweren Zeit von ihren Biergärten profitieren. Hinzu kommen die Dauerbrenner im Landkreis. Das Gasthaus Pfeil in Bergkirchen besuchen auch Radfahrer aus München wegen seiner preiswerten bayerischen Küche. Oder der hübsche Biergarten Mariabrunn, mitten in den Wäldern des geschichtsträchtigen Wallfahrtsortes, ist ein beliebtes Ausflugsziel weit über den Landkreis hinaus.

Wieder aufgeblüht ist die Wirtshauskultur auch in Erdweg. Im historischen Wirtshaus, das Mitte des 15. Jahrhunderts erstmals urkundlich erwähnt wurde, ging jahrelang nichts mehr, bis Bürger es aufwendig restauriert haben. Im Tafernsaal unter dem Dach organisiert der örtliche Kulturverein regelmäßig Konzerte, Ausstellungen und Comedy-Abende. Mit der Wiedereröffnung wurde dem Ort neues Leben eingehaucht. Sonne und Schatten, so zeigt sich auf der Reise durch den Landkreis, liegen eben oft nebeneinander. Im Nachbarort Großberghofen hoffen sie, dass sie bald wieder in ihr Wirtshaus gehen können. Eine Interessentin gibt es angeblich bereits, doch derzeit ist das Haus bewohnt.

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Quelle:
SZ vom 03.08.2020
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