Süddeutsche Zeitung

Sporthallen im Landkreis geschlossen:Dicke Luft

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Just als die Turniertänzer des TSV Eintracht Karlsfeld nach drei Monaten wieder mit dem Training beginnen wollen, werden alle Turnhallen geschlossen - wegen mangelnder Belüftung. Viele halten das für maßlos überzogen

Von Christiane Bracht, Karlsfeld/Dachau

Die Tänzer sind empört: "Wir lassen uns das nicht gefallen", sagt Ursula Kasbauer entschlossen. Die Karlsfelderin will einen Brief an Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schreiben. "Ganz Bayern darf trainieren, nur wir nicht", schimpft sie. An diesem Montag sollten die Sportler wieder mit ihren Übungen beginnen. Doch alle Hallen in Karlsfeld sind geschlossen und auch das Bürgerhaus, in dem die Turniertänzer des TSV Eintracht Karlsfeld sich bisher immer auf ihre Wettkämpfe vorbereitet haben. Auch in anderen Kommunen bleiben Sporthallen zu. Der Grund: Die Lüftungsanlagen, sofern die Hallen überhaupt welche haben, reichen nicht aus, um einen vollständigen Luftaustausch vor jedem Training zu gewährleisten. In Karlsfeld wollen weder Bürgermeister Stefan Kolbe (CSU) noch TSV-Präsident Rüdiger Meyer die Verantwortung übernehmen, wenn sich deshalb das Coronavirus ungehindert ausbreiten kann. Bis auf weiteres wird der Sportbetrieb also draußen stattfinden müssen.

Mangelnde Frischluftzufuhr war eine der Ursachen, weshalb im Schlachtbetrieb Tönnies plötzlich so viele Mitarbeiter an Corona erkrankt seien, erinnert Meyer. Das Risiko, dass dies in Karlsfeld eines Tages ebenso geschieht, wolle er nicht auf sich nehmen. "Ich gehe nicht ins Gefängnis oder zahle Schadenersatz dafür." Auch Kolbe fürchtet, dass in so einem Fall sofort alle mit dem Finger auf den Bürgermeister zeigen würden und die Frage stellen: Warum hat er es nicht geprüft? "Den Schuh ziehe ich mir nicht an." Man dürfe keinen Schnellschuss machen, wenn es um die Gesundheit gehe, sagt Kolbe. Dennoch verstehe er, dass die Sportler endlich wieder aktiv werden wollten. Nach drei Monaten sind die Vereinsmitglieder langsam ungeduldig. Trotzdem wünscht sich Kolbe Verständnis. Er habe bereits eine Anfrage an das Gesundheitsamt gestellt, sagt er.

Aber zumindest in der Tanzabteilung schwindet das Verständnis. "Die Stimmung ist zunehmend gereizt", sagt Trainerin und Platzwartin der Abteilung Kordula Pfau. "Wir können nicht draußen auf Kies oder Sand trainieren. Wir brauchen einen Parkettboden, Tanzschuhe und einen Partner." Stundenlang habe sie an Hygienekonzepten gearbeitet, alles sei genehmigt gewesen. Söder erlaubte das Tanzen ab dem 8. Juni, in Karlsfeld sollte es zunächst eine Woche später losgehen, dann wurde es auf den 22. Juni verschoben und jetzt "geht es gar nicht". Enttäuschung und Schock sitzen tief bei den Tänzern. "Das war wie ein Schlag in den Magen", sagt Pfau. Sie vermisst das "gewisse Augenmaß". Die Lüftungssituation in Halle und Bürgerhaus sei nicht so schlecht. Früher hätten zwei- bis dreimal so viele Leute in den Räumen trainiert und keiner sei krank geworden.

Meyer weist jedoch darauf hin, dass der Verein überhaupt keinen Ermessensspielraum habe. Bei "vollständigem Luftaustausch" gebe es keinen Interpretationsspielraum. "Um Erleichterungen im Indoorsport umsetzen zu können, bedarf es einer Änderung der Formulierung im Rahmenhygienekonzept des Bayerischen Staatsministerium des Inneren." Meyer ärgert sich, dass "die Auflagen unerreichbar hoch" seien, und die Ehrenamtlichen dies "ausbaden" müssten.

Landrat Stefan Löwl (CSU) meint, der Bayerische Landessportverband (BLSV) habe die Formulierung "vollständiger Luftaustausch" ins Spiel gebracht. Das Ministerium sei mit einem "ausreichenden Luftaustausch" zufrieden. Doch was das genau bedeute, versuche er seit einer Woche zu eruieren. Die Regierungspräsidentin habe ihm jedoch noch nicht geantwortet. Die Hallen von Stadt und Landkreis sind jedenfalls bis auf weiteres geschlossen.

Der ASV Dachau trainiert wieder in der Halle, aber im Durchzug: Eine Dreiviertelstunde Sport pro Gruppe, dann eine halbe Stunde lang alle Fenster und Türen auf, während die Lüftungsanlage auf vollen Touren läuft. Die Vizevorsitzende Ingrid Sedlbauer sagt: "Das mag nicht jeder."

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SZ vom 30.06.2020
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